Das Wechselmodell im kanadischen Kindschaftsrecht - Ein gangbarer Weg auch für Deutschland?
Hanke Andreas T. ..2014 Fachzeitschrift
Das Wechselmodell ist derzeit in aller Munde (z.B. Jokisch, Das Wechselmodell - Grundlagen und Probleme, FuR 2013, 679 und FuR 2014, 25; Spangenberg, Wechselmodell und Unterhalt, FamFR 2010, 125). Im FamRB hat sich zuletzt Sünderhauf intensiv mit Vorurteilen gegen das Wechselmodell, gestützt auf Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung, auseinandergesetzt (FamRB 2013, 290 und FamRB 2013, 327). Die von Sünderhauf herangezogenen Forschungsergebnisse stammen zu einem Großteil aus dem Rechtskreis des Common Law. Der folgende Beitrag folgt diesem Blick über den europäischen Tellerrand und konzentriert sich - in Ergänzung des Beitrags von Sünderhauf - auf die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung zum Wechselmodell speziell in Kanada. Ein lohnenswerter Blick, der uns vor Augen führt, welches Potential das Wechselmodell gerade als vorläufige Regelung hat und welcher Möglichkeiten sich die Familiengerichte in Deutschland berauben, wenn sie weiterhin den Konsens der Elternteile als Abwägungskriterium über sonstige, das Kindeswohl bestimmende Faktoren stellen.
Autor: Andreas T. Hanke Quelle: Dokumenttyp: Aufsatz
Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln Fundstelle: FamRB 2014, 106-109
Das Wechselmodell im kanadischen Kindschafts- recht – Ein gangbarer Weg auch für Deutschland?
von RA Andreas T. Hanke, Berlin
Das Wechselmodell ist derzeit in aller Munde (z.B. Jokisch, Das Wechselmodell – Grundlagen und Pro- bleme, FuR 2013, 679 und FuR 2014, 25; Spangenberg, Wechselmodell und Unterhalt, FamFR 2010, 125). Im FamRB hat sich zuletzt Sünderhauf intensiv mit Vorurteilen gegen das Wechselmodell, gestützt auf Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung, auseinandergesetzt (FamRB 2013, 290 und Fam- RB 2013, 327). Die von Sünderhauf herangezogenen Forschungsergebnisse stammen zu einem Groß- teil aus dem Rechtskreis des Common Law. Der folgende Beitrag folgt diesem Blick über den europäi- schen Tellerrand und konzentriert sich – in Ergänzung des Beitrags von Sünderhauf – auf die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung zum Wechselmodell speziell in Kanada. Ein lohnenswerter Blick, der uns vor Augen führt, welches Potential das Wechselmodell gerade als vorläufige Regelung hat und welcher Möglichkeiten sich die Familiengerichte in Deutschland berauben, wenn sie weiterhin den Kon- sens der Elternteile als Abwägungskriterium über sonstige, das Kindeswohl bestimmende Faktoren stel- len.
I. Das Wechselmodell im kanadischen Familienrecht
Das kanadische Kindschaftsrecht ist sowohl auf Bundesebene als auch auf Provinz- bzw. Territorialebe-
ne geregelt.1 Auf Bundesebene ist Sec. 16 des Divorce Act (DA) einschlägig, auf Provinzebene bspw. der Childrens Law Reform Act (CLRA) (Ontario). Die Abgrenzung erfolgt prozessual; wird ein Sorgerechts- verfahren im Verbund mit der Scheidung als Folgesache anhängig gemacht (corollary relief), ist pri- mär auf Grundlage des DA zu entscheiden, bei isolierten Kindschaftssachen ist Provinz- bzw. Terri-
torialrecht anzuwenden.2 Zur Darstellung des Kindschaftsrechts auf Provinzebene werden im Folgenden beispielhaft die Regelungen des CLRA behandelt.
Sowohl auf Bundesebene, als auch auf Provinzebene behandelt das Gesetz die Kindeseltern als gleicher- maßen geeignet zur Ausübung der elterlichen Sorge.3 Gleich dem deutschen Recht unterscheidet das
kanadische Familienrecht zwischen alleiniger elterlicher Sorge (sole
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custody) und gemeinsamer elterlicher Sorge (joint custody).4 Die Ausübung der gemeinsamen elter-
lichen Sorge setzt in Kanada die Fähigkeit beider Elternteile zur Kooperation, Kommunikation und Kom-
promissbereitschaft voraus.5 Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird ein kanadisches Familien- gericht im Regelfall nicht die gemeinsame elterliche Sorge anordnen, sondern einem Elterteil die allei- nige elterliche Sorge übertragen und für den anderen Elternteil ein Umgangsrecht (access/visitation)
bestimmen.6 Bei der Bestimmung, welcher Elternteil die alleinige elterliche Sorge ausübt, ist das maß- gebliche Kriterium – genau wie im deutschen Kindschaftsrecht – das Kindeswohl (best interest of the child). Das Gericht wird bei der Entscheidungsfindung von einem Kindesanwalt (Childrens Lawyer) un-
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terstützt. Der Aufgabenkreis des Kindesanwalts entspricht dem eines Verfahrensbeistands.7 Dem Kin- desanwalt, der selbst kein Jurist sein muss, obliegt im Vorfeld der mündlichen Verhandlung die Eruie- rung, ob und inwieweit die beantragte Maßnahme dem Kindeswohl entspricht.
Anders als in Deutschland sind kanadische Familiengerichte befähigt, den Umgang des nicht sorgebe- rechtigten Elternteils zeitlich in einem Umfang festzulegen, der dem deutschen Wechselmodell ent-
spricht.8 Man spricht bei annährend gleichem Betreuungsumfang von shared parenting oder joint physi-
cal custody.9 Dogmatisch stellt das Wechselmodell wohl eine Ausformung des Sorgerechts dar, eine ge-
naue Abgrenzung ist allerdings – genau wie im deutschen Recht – nicht möglich.10 Vom Wechselmodell spricht man bei ungefähr gleichem Betreuungsumfang beider Elternteile, nach Regelung in den Federal
Child Support Guidelines stellt auch eine 40/60 Regelung eine Betreuung im Wechselmodell dar.11
Neben dem tatsächlichen Betreuungsumfang, hat die Durchführung des Wechselmodells weitergehende rechtliche Auswirkungen, insbesondere auf den KindesUnterhalt. Die Federal Child Support Gui- delines regeln, dass bei Betreuungsleistung des auf Unterhalt in Anspruch genommenen Elternteils von mehr als 40 Prozent, eine starre Anwendung der Child Support Tables (Unterhaltstabellen, vergleichbar
mit den Bedarfstabellen in den Unterhaltsleitlinien der OLG) ausscheidet.12 Eine genaue Bestimmung, in welcher Höhe Unterhalt im praktizierten Wechselmodell zu leisten ist, gibt es nicht, die liegt im Er- messen des Gerichts und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei Ausübung des Ermessens hat das Gericht die (fiktive) Verpflichtung beider Elternteile gemäß ihres Einkommens anhand der Un- terhaltstabellen, die erhöhten Aufwendungen für das Kind durch die abwechselnde Betreuung und den
konkreten Bedarf des Kindes zu erbringen, zu berücksichtigen.13
II. Die Berücksichtigung außergerichtlicher Umgangsvereinbarungen
Nach kanadischem Recht können sich die Kindeseltern außergerichtlich verbindlich über das Sorge-
und Umgangsrecht einigen.14 Die Gerichte sind berechtigt, nach Anrufung durch einen Elternteil ei- ne abweichende Regelung zu erlassen oder die bestehende Regelung zu bestätigen. Eine solche gerichtliche Anordnung ist abzuändern, wenn sich die der Erstentscheidung zugrunde liegenden Um- stände wesentlich verändert haben (material change in circumstances) und das Kindeswohl dies er-
fordert.15 Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine solche wesentliche Änderung stellt, sind sehr hoch.16 Häufigster Fall ist der Umzug eines Elternteils (parental relocation).17
III. Das Wechselmodell als vorläufige Maßnahme: Gorenc v. Gorenc (Ontario)
Der Fall Gorenc v. Gorenc 18 veranschaulicht die Eignung des Wechselmodells als vorläufige famili- enrichterliche Maßnahme und das Potential einer solchen Regelung für den deutschen Rechtsraum. Im Jahr 2012 hatte sich der Superior Court of Justice in Ontario in einem Sorgerechtsrechtsstreit inzident mit der Frage zu beschäftigen, bei welchem Elternteil die gemeinsamen Kinder der Beteiligten bis zur Entscheidung in der Hauptsache ihren Lebensmittelpunkt haben sollen. Die zu beurteilende Sachlage war eine für das Familienrecht so typische:
Nachdem sich die Kindeseltern im November 2011 getrennt hatten, stellte sich die Frage nach dem Sor- gerecht für die gemeinsamen Kinder (8 und 7 Jahre). Die Kindesmutter war nach der Trennung ohne Zu- stimmung des Kindesvaters mit den gemeinsamen Kindern zu ihren El-
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tern gezogen. Die Wohnung der Eltern befand sich in unmittelbarer Nähe zur vormaligen Ehewohnung, die der Kindesvater allein bewohnte. Der Kontakt der Kinder zum Kindesvater wurde durch die Kindes- mutter in Folge der Trennung stark eingeschränkt. Nach Anrufung des Familiengerichts durch den Kin- desvater, wurde ein Gutachten zur Frage des Sorge- und Umgangsrechts durch das Gericht in Auftrag
gegeben.19 Der Gutachter kam zu der Feststellung, dass beide Elternteile erziehungsgeeignet seien, die Kindesmutter allerdings bessere Fähigkeiten aufwiese, den Kindern ein strukturiertes, kontinuierliches und fürsorgliches Umfeld zu schaffen. Da aufgrund der fehlenden Kooperationsfähigkeit beider Elterntei-
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le die gemeinsame elterliche Sorge ausscheide, empfahl der Gutachter die Übertragung der elterlichen Sorge allein auf die Kindesmutter und eine Ausdehnung des Umgangs für den Kindesvater.
Die rechtliche Schlussfolgerung könnte genauso auch von einem deutschen Familiengericht getrof- fen werden. Bekanntermaßen setzt nach der Rechtsprechung des BVerfG die Ausübung der gemeinsa-
men elterlichen Sorge Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus.20 Erkenntnisgewinn bringt allerdings die Reaktion des kanadischen Familiengerichts, das sich nach Be- kanntgabe des Gutachtens mit dem jeweiligen Begehren auf Übertragung der elterlichen Sorge im We- ge einstweiligen Rechtschutzes der Kindesmutter und des Kindesvater auseinanderzusetzen hatte. Das Gericht ordnete bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Betreuung der Kinder im Wechsel- modell, mit wöchentlichen Wechseln, an. Solche vorläufigen Regelungen (interim custody order/tem- porary custody order) sind eine prozessuale Besonderheit im kanadischen Familienrecht und sind u.a. den langen Wartezeiten bis zur Durchführung des Hauptsacheverfahrens geschuldet. Von der Antrag- stellung bis zur mündlichen Verhandlung in einem Sorgerechtsverfahren können durchaus mehrere Mo- nate vergehen.
Mit zwei wesentlichen Argumenten hat das Gericht diese Entscheidung begründet:
1.
„maximalen Kontakts“ des Kindes mit beiden Elternteilen zu beachten.
2. Beide Elternteile sind nach dem Gutachten erziehungsgeeignet. Würde im Verfahren des einst-
weiligen Rechtsschutzes der Kindesmutter – dem Gutachten folgend – die alleinige elterliche Sor-
ge übertragen, so würde vor Eruierung in der Hauptsache22 ein status quo mit ungleichen Aus- gangspositionen für die Eltern geschaffen. Der Kindesvater wäre dann gezwungen, zunächst die Aufhebung des status quo zu rechtfertigen, bevor er mit seinem eigentlichen Begehren, der Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf ihn, gehört werden würde (dem Gericht zufolge ein sog. uphill battle). Das Wechselmodell hingegen ist Ausdruck der beiderseitig vorhan- denen Erziehungsfähigkeit und bevorzugt mit Blick auf das Hauptsacheverfahren zum Sorgerecht keinen der Elternteile. Bei dieser Erwägung berücksichtigt das Gericht ausdrück- lich den Zeitablauf bis zur Durchführung des Hauptsacheverfahrens („it will be several months at
least before this case comes to trial 23“).
Um die Entscheidung des Gerichts besser zu verstehen, lohnt sich ein weiterer Blick in das kanadische Kindschaftsrecht. Das Kriterium des Kindeswohls, das grundsätzlich materiell-rechtlichen Vermu- tungsregelungen die Grundlage entziehen sollte, wurde (und wird teilweise) durch die Rechtsprechung in Kanada in einigen Fällen ad absurdum geführt, indem gemäß der Maxime „he who has custody, gets custody“ (Deutsch: derjenige bei dem das Kind lebt, bekommt die elterliche Sorge zugesprochen) ent-
schieden wurde.24 Ein Problem, das auch dem deutschen Kindschaftsrecht nicht fremd ist. Bei der Tren- nung werden zuweilen durch einen Elternteil Tatsachen hinsichtlich des Lebensmittelpunkts des ge- meinsamen Kindes geschaffen, die durchaus präjudizierende Wirkung haben können. Es besteht in sol- chen Konstellation die reale und nicht zu unterschätzende Gefahr, dass Richter unbewusst dem Eltern- teil, bei dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, aufgrund der tatsächlichen (durch ihn geschaffe- nen) Betreuungssituation ein Mehr an Erziehungsfähigkeit zuschreiben; eine Gefahr die dadurch ver- stärkt wird, dass der andere Elternteil im Verfahren nicht als grundsätzlich im Betreuungsumfang gleich- berechtigt, sondern als der „Umgangsberechtigte“ Elternteil wahrgenommen wird und sich in der Rolle des „Bittstellers“ wiederfindet.
Wäre das Familiengericht nach Anrufung durch diesen Elternteil in der Lage, verbindlich das Wechsel- modell anzuordnen, so wäre der Gefahr einer faktischen Präjudizierung Vorbeuge geleistet; ein Auftrag, der dem Familiengericht mit Blick auf das in § 155 FamFG niedergelegte Vorrangs- und Beschleu- nigungsgebot erteilt ist. Normzweck von § 155 FamFG ist es, dass dem Faktor Zeit in Kindschaftsan- gelegenheiten keine entscheidende Bedeutung zukommt. Folglich ist dem Familiengericht durch § 155 FamFG – der in vielen Fällen einer einstwei-
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Gemäß Sec. 16 (10) Divorce Act 21 hat das Gericht bei Fragen des Sorgerechts die Maxime des
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ligen Anordnung in Umgangsangelegenheiten die Grundlage mangels Rechtschutzbedürfnis entzieht25 – der Auftrag erteilt, über Umgangsanträge innerhalb kurzer Frist zu entscheiden. Will das Familien- gericht diesem Auftrag wirksam nachkommen, so darf es das Wechselmodell als mögliches Werkzeug nicht von vornherein vom Willen der Beteiligten abhängig machen, sondern sollte auch bei der Frage, ob das Wechselmodell gegebenenfalls gegen den Willen der Beteiligten anzuordnen ist, das Kin- deswohl zur Maxime machen. Haben beide Elternteile das Kind während intakter Beziehung in gleichem Umfang betreut, so spricht im Fall eines Umgangs- oder Sorgerechtsverfahrens vieles dafür, vorläu- fig in einem ersten Termin das Wechselmodell anzuordnen. Denn auch in Deutschland muss der/ die Antragsteller/in in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren trotz des Vorrang- und Beschleunigungsge- bots (§ 155 FamFG ist gem. § 155a Abs. 2 FamFG in Sorgerechtsangelegenheiten entsprechend anzu- wenden) Geduld beweisen. Dies liegt zum einen an der Dauer von SachverständigenGutachten und/oder entsprechender fachlicher Stellungnahmen der personell limitierten Jugendämter (dies gilt zumindest für den Gerichtsbezirk des KG), zum anderen daran, dass Gerichte in einem ersten Termin oft keine Um- gangsregelung beschließen, sondern vielmehr die Beteiligten an die Jugendämter und Freien Träger ver- weisen, mit denen eine Umgangsregelung erarbeitet werden soll. Maßnahmen, die eine vorläufige An- ordnung einer Umgangsregelung nicht ausschließen sollten. Die Anordnung des Wechselmodells bie- tet als vorläufige Maßnahme vielmehr Gewähr dafür, dass beide Elternteile als gleichberechtigt in Be- treuung und Umgang mit dem Kind wahrgenommen werden und sich auch als gleichberechtigt bei Eru- ierung des Kindeswohls durch Dritte (Jugendamt, Verfahrensbeistand, Sachverständige) wahrnehmen. Es ist anzunehmen, dass sich dies positiv auf die Kooperationsbereitschaft der Elternteile aus- wirken kann, da sich die Elternteile bei gleichem Betreuungsumfang und mithin gleichem Zugang zu dem Kind/den Kindern weder als „chancenlos“, „benachteiligt“, „ausgeschlossen“, „isoliert“ auf der ei- nen Seite noch als Hüter und Verteidiger der „wahren“ Interessen des Kindes auf der anderen Seite be- trachten. Das Wechselmodell hat das Potential, einen offenen Umgang mit den Fragen „Wo soll das Kind leben?“ „Wer soll Entscheidungen für das Kind treffen?“ und „Wer betreut das Kind in welchem Um- fang?“ zu ermöglichen.
IV. Fazit
Das Wechselmodell mit seiner Zwittercharakterisierung einerseits als Ausprägung der elterlichen Sorge, andererseits aber auch als besondere Form des elterlichen Umgangs bietet nicht zu vernachlässigende Chancen und Vorteile, die vom Gericht bei Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sein sollten. Das KG hat in einer vielbeachteten Entscheidung vom 28.2.2012 deutlich gemacht, dass es Konstellationen
gibt, die die Anordnung des Wechselmodells im Interesse des Kindes notwendig machen.26 Sünderhauf hat dargelegt, dass es Denkbarrieren zum Wechselmodell gibt, die – so könnte man behaupten – unbe- rechtigt sind. Die Familiengerichte in Deutschland berauben sich dadurch möglicherweise effektiver Lö- sungsoptionen. Festzustellen ist: Es bleibt spannend im deutschen Kindschaftsrecht.
Fußnoten
1) Vgl. zur Kodifizierung des kanadischen Familienrechts: Hanke, Das Separation Agreement nach kanadischem Familienrecht, FamRBint 2013, 70.
2) Vgl. dazu ausführlich: Kronby, Canadian Family Law, 10. Aufl., Ch. 5, 70.
3) Ausdrücklich geregelt in Sec. 20 CLRA.
4) Es gibt (bisher) keine gesetzliche Vermutungsregelung, die besagt, dass die gemeinsame elterli- che Sorge dem Kindeswohl eher entspricht. Die Entscheidung Brook v. Brook [2006] O.J. No. 1514 nimmt eine solche Vermutungsregelung für Ontario zwar an, bisher hat sich dies in der Rechtspre- chung jedoch nicht durchgesetzt.
5) Kaplanis v. Kaplanis [2005] O.J. No. 275; Daly (Wardell) v. Wardell, 2008 ONCJ 463 (CanLII) m.w.N.
6) Daly (Wardell) v. Wardell, 2008 ONCJ 463 (CanLII); Kearney v. Kearney, 2001 CanLII 26460 (ON
CJ).
7) Der Aufgabenbereich des Kindesanwaltes wird u.a. in Sec. 112 Courts of Justice Act (RSO 1990, c C.43) bestimmt.
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8) Vgl. bspw. Constant v. Warren, 2010 ONSC 1679.
9) Der Rechtsbegriff (Joint) physical custody darf nicht mit dem deutschen Aufenthaltsbestimmungs-
recht verwechselt werden. Es ist mit dem deutschen Begriff der „Obhut“ zu vergleichen.
10) So verwenden die Federal Child Support Guidelines in Sec. 9 sowohl von „access“ (Umgang) und „physical custody“ (Obhut) bei der Beschreibung (annährend) gleichen Betreuungsumfangs der Elternteile. Auch die Gerichte sind in der Verwendung der Termini uneinheitlich und verwenden für sowohl dem Umgangsrecht entlehnte Begriffe wie „parenting“ als auch „joint physical custo- dy“ als Teil der elterlichen Sorge; vgl. zur dogmatischen Einordnung im deutschen Recht, Jokisch, FuR 2013, 679 (681 f.).
11) Sec. 9 Federal Child Support Guidelines.
12) Sec. 9 Federal Child Support Guidelines.
13) Sec. 9 Federal Child Support Guidelines; mit welchen Schwierigkeiten eine solche Ermessensent- scheidung verbunden ist veranschaulicht die Entscheidung Contino v. Leonelli-Contino 2005 SCC 63; 259 DLR (4th) 388.
14) Sec. 54 Family Law Act (Ontario); vgl. dazu Hanke, FamRBint 2013, 70 f.
15) Die insoweit maßgebliche Rechtsprechung wurde in Gordon v. Goertz 1996 CanLII 191 (SCC) be-
gründet.
16) Philips v. Mayers, 2009 ONCJ 680.
17) Vertiefend bspw. Bala/Harris, Parental Relocation: Applying the Best Interests of the Child Test in Ontario, 22 Can. J. Fam. L. 127.
18) Gorenc v. Gorenc, 2012 ONSC 6127.
19) Custody and Access Assessment gem. § 30 Childrens Law Reform Act (CLRA). Die Einholung von SorgerechtsGutachten ist bei Streitigkeiten über das Sorge- und Umgangsrecht gängige Verfah- rensweise. Inhaltlich geht ein solcher Bericht über den im deutschen Rechtsraum üblichen Bericht des Verfahrensbeistands hinaus und ist viel eher mit einem ErziehungsfähigkeitsGutachten zu ver- gleichen.
20) BVerfG v. 29.1.2003 – 1 BvL 20/99 , 1 BvR 933/01, BVerfGE 107, 150 = FamRZ 2003, 285 m. Anm. Henrich, FamRZ 2013, 358 = FamRB 2003, 80.
21) Sec. 16 (10) Divorce Act „In making an order under this section, the court shall give effect to the principle that a child of the marriage should have as much contact with each spouse as is consis- tent with the best interests of the child and, for that purpose, shall take into consideration the wil- lingness of the person for whom custody is sought to facilitate such contact.“
22) Das Gericht hat für den Fall der Begutachtung im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes zwingend ein Hauptsacheverfahren durchzuführen, es sei denn, ungewöhnliche Umstände (highly unsusual circumstances) erfordern zum Schutz des Kindeswohls eine besondere Eilbedürftigkeit, Marcy v. Belmore, 2012 ONSC 4696; Samson v. Samson [2006] O.J. No. 5108 (S.C.J.).
23) Gorenc v. Gorenc, 2012 ONSC 6127, 7.
24) Vgl. Kronby, Canadian Family Law, 10. Aufl., Ch. 5, 76.
25) Allerdings hat der Gesetzgeber die einstweilige Anordnung gerade in Umgangssachen als ein pro- bates Lösungswerkzeug erachtet. BT-Drucks. 16/6308, 199: „Gerade in Umgangssachen besteht regelmäßig ein besonderes Bedürfnis für eine zeitnahe Regelung. Nur durch eine solche kann eine dem Kindeswohl abträgliche längere Unterbrechung der persönlichen Beziehung zu dem nicht be- treuenden Elternteil vermieden werden. Die einstweilige Anordnung ist dafür ein geeignetes Mit-
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tel.“ Gemäß § 1684 Abs. 3 BGB kann bei Streit der Kindeseltern über den Umgang, dieser durch einstweilige Anordnung des Familiengerichts festgelegt werden.
26) KG v. 28.2.2012 – 18 UF 184/09 , FamRZ 2012, 886.
Zeitung: FamRB Seite: 106-109
Zuletzt geändert am 19.05.2015 um 02:04
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