Auch wenn die Doppelresidenz bereits heute von immer mehr Familien gelebt wird – gesetzlich normiert oder definiert ist sie bisher in Deutschland noch nicht. Ebenso wenig sind im Bürgerlichen Gesetzbuch gleichberechtigte Eltern vorgesehen. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass zu dem Zeitpunkt, als die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften verfasst wurden, die Doppelresidenz weder im öffentlichen
Bewusstsein noch in den parlamentarischen Beratungen ein Thema war. Es besteht somit eine nicht beabsichtige Regelungslücke im Gesetz.
Lange Zeit war für viele Gerichte unklar, ob überhaupt und wenn ja in welchem Rahmen die Doppelresidenz gerichtlich angeordnet werden kann, was zu zahllosen widersprüchlichen Entscheidungen
führte. Mit seinerEntscheidung vom 1. Februar 2017 sorgte der Bundesgerichthof für Klarheit.
Die Doppelresidenz kann im Rahmen der geltenden Gesetze gerichtlich, auch gegen den Willen eines Elternteils, angeordnet werden. Ebenfalls wurde klargestellt, dass die Doppelresidenz eine Umgangsregelung ist und damit, wie jede andere Umgangsregelung auch, das Aufenthaltsbestimmungsrecht des jeweils anderen Elternteils entsprechend einschränkt, ohne das hierfür eine Sorgerechtsentscheidung getroffen werden muss.
Nachdem durch den Bundesgerichtshof klargestellt worden war, in welchem Rahmen die Doppelresidenz angeordnet werden kann, war zu erwarten, dass hierauf basierend die Rechtsprechung auch mit anderen überholten Vorurteilen aufräumen würde. Bislang scheiterten gerichtliche Anträge auf Doppelresidenz regelmäßig dann, wenn vorher weniger als 50 % Betreuungszeit bei einem
Elternteil lagen und die Eltern sich streiten.
Das Amtsgericht Calw (7 F 274/16 vom 19.05.2017) hatte in einem Fall zu entscheiden, in dem die Mutter diverse Streitpunkte zwischen den Eltern, die beide schon umfangreich, wenn auch nicht zu 50 %, in die Betreuung des Kindes eingebunden waren, vortrug. Überzeugen konnte dies das Gericht nicht. Denn egal ob nun Streit zwischen den Eltern besteht, dieser hat vorliegend nichts mit dem
Umfang des Umgangs zu tun. Die Eltern hatten in der Vergangenheit bereits ein umfangreiches und komplexes Betreuungsmodell. Das Gericht verglich die verschiedenen Betreuungsoptionen und stellt letztlich einen Vorrang für die Doppelresidenz fest. Es betonte auch die Vorteile, die Kinder durch das Leben in zwei Haushalten haben: „Das Erleben unterschiedlicher Auffassungen zu Themen fördert
bei den Kindern vielmehr die Toleranz und die Akzeptanz anderer Meinungen und führt zu einer Erweiterung des Horizontes“. Es ist also nicht notwendig, dass Eltern völlig gleiche Erziehungsstile haben.
Die Entscheidung wurde erwartungsgemäß durch das Stuttgarter Oberlandesgericht bestätigt (18 UF 104/17 vom 23.08.2017) und es wurde darauf hingewiesen, dass die paritätische Doppelresidenz in diesem Fall auch mehr Klarheit für die Kinder bringe, wann sie sich bei welchem Elternteil aufhalten.
Eine ausführliche Kommentierung dieser und weiterer Entscheidungen finden Sie auch in unserer Entscheidungs-Datenbank
Sofern das Residenzmodell keine deutlichen Vorteile für das Wohlergehen des Kindes bringt, so ist in solchen Fällen der Doppelresidenz der Vorzug zu geben. Zukünftig werden die Gerichte also einen entsprechenden Vergleich zwischen den verschiedenen Betreuungsmodellen anstellen und begründen müssen, wenn sie von der Doppelresidenz abweichen und damit in die Grundrechte eines
Elternteils eingreifen wollen. De facto hat der Bundesgerichtshof damit bestätigt, dass die Familiengerichte der Doppelresidenz im Rahmen ihrer Prüfung einen Vorrang einzuräumen haben, von dem sie nur abweichen dürfen, wenn durch die Doppelresidenz das Wohl des Kindes gefährdet wäre. (siehe hierzu auch den Fachaufsatz "Im Zweifel für die Doppelresidenz")
In unserer- Entscheidungs-Datenbank finden Sie darüber hinaus zahlreiche weitere gerichtliche Entscheidungen, welche wir im Bezug auf die Doppelresidenz und die hierzu vorliegenden Erkenntnisse kommentiert haben.
Das Amtsgericht Heidelberg (31 F 15/14) hat sich 2014 mit den rechtlichen Fragen und bestehenden Vorurteilen auseinandergesetzt und die Doppelresidenz dem Residenzmodell gegenüber gestellt. Im Ergebnis ließ sich klar erkennen, dass die Doppelresidenz den Kindern deutlich mehr Chancen als die Einzelresidenz bietet und dass gegen die Doppelresidenz angeführte Vorbehalte zumeist ebenso für das Residenzmodell gelten.
Auch das Hanseatische Oberlandesgericht (2 UF 106/14) setzte sich intensiv mit der Frage der Kindeswohldienlichkeit der Doppelresidenz auseinander und räumte in diesem Zusammenhang auch mit einem sich durch viele vorherige Gerichtsbeschlüsse ziehenden Vorurteil des „Lebensmittelpunktes“ auf: Kinder können durchaus gut an zwei Lebensmittelpunkten leben, für eine gegenteilige Behauptung gibt es keine entwicklungspsychologischen Anhaltspunkte.
Was fehlt, ist eine Klarstellung des Gesetzgebers, wie konkret in Fällen von erweitertem Umgang und Doppelresidenz die gesetzlichen Regelungen auszugestalten oder auch anzupassen sind. So stoßen z. B. die Bundesländer immer wieder an gewisse Grenzen, wenn es um die Berechnung von Arbeitslosengeld, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss, Kindesunterhalt, Umgangsmehrbedarf oder weiteren
Sozialleistungen geht. All diese Regelungen sind auf das Residenzmodell ausgelegt und werden der heutigen Lebenswirklichkeit getrennter Eltern und deren Kinder nicht mehr gerecht. Hierauf wies auch die Justizministerkonferenz hin und forderte in ihrer Frühjahrstagung am 21./22. Juni 2017 die Bundesregierung auf, die rechtlichen Folgen der Doppelresidenz zu regeln und die Gesetze der gesellschaftlichen Realität anzupassen.
Sie wiesen auch darauf hin, dass das gesetzlich vorgesehene Prinzip, dass ein Elternteil zahlt und der andere betreut, in der Doppelresidenz so nicht funktioniert. So wie beide Elternteile abwechselnd betreuen, müssen nun auch beide zum Barunterhalt beitragen.
Seitens des Bundesfamilienministeriums wurden im Juli und September 2017 zwei Zukunftsgespräche unter den Titel „GEMEINSAM GETRENNT ERZIEHEN“ unter Einbeziehung von Experten aus Professionen und Zivilgesellschaft initiiert. Gemeinsam wurden die notwendigen Handlungsfelder definiert und Erkenntnisse aus der Praxis eingebracht. Präsentiert wurden auch weitere repräsentative
Erkenntnisse zum Leben von Trennungsfamilien in Deutschland auf Basis einer Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach. Deutlich wurde bereits in diesem frühen Stadium, dass die gemeinsame Elternschaft und somit auch die Doppelresidenz in deutlich mehr Konstellationen als bisher gelebt den Bedürfnissen der Kinder entsprechen kann.
Der Meinung sind auch viele Experten. „Deutschland braucht ein zeitgemäßes Familienrecht! – Wir fordern ein gesetzliches Leitbild der Doppelresidenz“ lautete der Titel einer gemeinsamen Erklärung, welche am 9. November 2017 durch 60 namhafte WissenschaftlerInnen sowie im Bereich von Trennung und Scheidung tätige Professionelle und VertreterInnen einschlägiger Verbände (darunter auch
doppelresidenz.org) unterzeichnet wurde. An die Politik richteten sie die Forderung, das deutsche Familienrecht grundlegend zu reformieren, da das Residenzmodell als gesellschaftliches Leitbild ausgedient hat. Sie fordern stattdessen eine Hinwendung zum Leitbild der Doppelresidenz, welche im Gegensatz zum Residenzmodell mittlerweile eine breite, auf wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte
Basis habe.
Aufbauend auf der gemeinsamen Erklärung hat sich doppelresidenz.org entschieden, eine gleichlautende Petition ins Leben zu rufen, und wird voraussichtlich bis zum Herbst 2018 entsprechende Unterstützung sammeln. Jeweils aktuelle Informationen hierzu sind auf unserer Homepage verfügbar.
Ein besonderer Appell unter anderem an den deutschen Gesetzgeber erging am 2. Oktober 2015. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates verabschiedete unter dem Titel ( „Gleichstellung und gemeinsame elterliche Verantwortung: die Rolle der Väter“) die einstimmig angenommene Entschließung 2079 (2015). Eine der Hauptforderungen an die 47 Mitgliedsstaaten lautet,
Zitat aus der Entschließung:
„5.5. das Prinzip der Doppelresidenz nach Trennung der Eltern im Gesetz zu verankern, und dieses Prinzip ausschließlich aufgrund von Vernachlässigung oder Missbrauch des Kindes sowie häuslicher Gewalt zu begrenzen ist“ … und
„5.7. die Betreuung in der Doppelresidenz bei der Vergabe von Sozialleistungen zu berücksichtigen“.
Grundlage für diese Empfehlungen des Europarates waren die internationalen Forschungsergebnisse sowie Expertenanhörungen, welche die Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten sowie weiteren Ländern berücksichtigten. Die einstimmige Annahme dieser Entschließung, auch mit den Stimmen der deutschen Mitglieder, zeigt, dass die Vorzüge der Doppelresidenz für Kinder und Eltern auf internationaler
Ebene schon erkannt worden sind.
Die Seite der Schweizer Kollegen: www.wechselmodell.ch
Die Seite der Österreichischen Kollegen: www.doppelresidenz.at
International Council on shared Parenting / Internationaler Rat für die Paritische Doppelresidenz www.twohomes.org
Allgemeine Fragen oder Fragen zur Website:
info@doppelresidenz.org
Presseanfragen:
presse@doppelresidenz.org
Nachricht an die Redaktion:
redaktion@doppelresidenz.org
Veranstaltung mitteilen:
veranstaltungen@doppelresidenz.org