Die Entscheidungsdatenbank befindet sich zur Zeit noch im Aufbau. Nach und nach werden wir hier weitere Entscheidugen einstellen und entsprechend in Bezug auf die Doppelresidenz kommentieren.
Bezüglich des Verfahrensverlaufes wird aufgrund der Komplexität auf den Beschlusstext verwiesen (Link zum Volltext siehe unten)
Der Beschluss des OLG Hamm ist in mehreren Hinsichten bemerkenswert.
Zum einen verzichtet er auf allzu ausführliche rechtliche Darstellungen, was positiv anzumerken ist. Regelung von Umgang ist in erster Linie eine Ermessensentscheidung anhand der konkreten Umstände und keine Rechtsfrage. Insofern kann die Entscheidung ein gutes Vorbild auch für andere Gerichte sein.
Zum anderen orientiert sich das Gericht vorbildlich an den Möglichkeiten der Eltern und den Bedürfnissen der Kinder. Aufgrund der sehr besonderen Konstellation (Leben an drei Orten) eignet sich die Entscheidung zwar nicht als Vorlage für andere Fälle. Sie zeigt aber sehr gut was möglich ist, wenn abseits von Denkbeschränkungen „üblicher“ Konstellationen nach Lösungen für den individuellen Fall gesucht wird.
Maßgeblich für das Gericht schien hier der Bindungserhalt und, in Bezug auf das Kind B, der Bindungsaufbau zu sein. Hierzu hat es die entsprechenden Umgangsregelungen ergriffen, die einer paritätischen Doppelresidenz sehr nahekommen und bei Detailfragen (Feiertage, Geburtstage) auch durchaus pragmatische Regelungen (finden dort statt, wo gerade Umgangszeit ist) getroffen, um die ohnehin schon komplexe Regelung nicht noch komplizierter zu machen. Gleiches gilt für die Ferienregelung, welche beiden Eltern ein gewisses Maß an individueller Flexibilität ermöglicht.
Auch ist nachvollziehbar, dass der Vater eine Beteiligung der Mutter an den Hol- und Bringdiensten der Tochter A einfordern wollte, nachdem die Mutter durch ihren Fortzug selbst für die Belastungen gesorgt hatte. Ebenso verständlich ist aber auch die Begründung des OLG Hamm, mit der diese dies ablehnt, da die Mutter dies organisatorisch und unter Rücksichtnahme auf den Sohn B praktisch nicht leisten kann.
Was den Sohn B betrifft soll zumindest ein hochfrequenter Bindungsaufbau, den die Mutter bis dahin verhindert hatte, stattfinden.
Hier kommen dann aber auch die Probleme in den Fokus, die im Beschluss nicht hinreichend angesprochen wurden. Aus dem Beschluss wird sehr deutlich, dass die Mutter den Vater nicht als wichtige Bindungsperson für beide Kinder ansieht, sogar der Meinung ist, sich vor diesem schützen zu müssen und die Beziehung und Bindung an die Kinder marginalisiert. Es ist dem Beschluss auch nicht zu entnehmen, dass es hier im Laufe der Verfahren eine Verhaltensänderung gegeben hätte.
Wie soll es also weitergehen?
Wie sollen die Kinder eine positive Beziehung zu ihrem Vater aufbauen können?
Wie sollen die Kinder langfristig entlastet werden?
All dies sind Fragen, die offenbleiben. Familienberatung, Familienhelfer oder andere Maßnahmen hätten eine Möglichkeit sein können, einen Weg zu weiterer Unterstützung der Eltern zu finden, was angesichts der Umständen dringend erforderlich scheint. So positiv der Ansatz des Bindungsaufbaus und der Bindungsstärkung des OLG Hamm auch ist, diese setzt vor allem eine Verhaltensänderung auf Elternebene – hier vor allem der Mutter – voraus. Wenn an dem Punkt nicht angesetzt wird ist absehbar, dass die Mutter weiterhin Probleme der Kinder verzeichnet und Belege sucht, um den Kontakt zu reduzieren. Diese Haltung gibt sie, mindestens subjektiv, auch im Zusammenleben an die Kinder weiter, welche mit zunehmendem Alter in Loyalitätskonflikte kommen. Die Gefahr einer mittelfristigen Entfremdung der Kinder scheint hier gegeben. Hier hätten frühzeitig Maßnahmen in die Wege geleitet werden sollen, um einerseits dem zu begegnen, andererseits die Entwicklung auch weiterhin im Blick zu haben.
Dies gilt auch für den Ausbau der Umgangskontakte zum Sohn B. Das OLG verweist hier darauf, dass zum gegenwärtigem Zeitpunkt noch nicht abgeschätzt werden könne, wann Übernachtungen und Ferien anzuordnen seien. Notfalls müsse die Regelung durch eine erneute gerichtliche Entscheidung verändert werden, sollten die Eltern sich nicht einigen können. Hier stellt sich aber das rechtliche Problem des Abänderungsmaßstabes des §1696 BGB, den viele Gerichte sehr hoch ansetzen und wo es vor allem ein erneutes Verfahren bedarf. Insofern hätte hier unter Umständen ein „offenhalten“ des Verfahrens, unter Umständen mit Unterstützung einer Familienberatung, eine Option sein können, bis sich der Umgang entsprechend stabilisiert und längerfristig geregelt werden kann. Hier zeigt sich aber auch eine gewisse Grenze des bestehenden Systems und die Notwendigkeit des Zusammenwirkens aller beteiligten Fachprofessionen.
Gleiches gilt auch für eine Verlaufs- / Erfolgskontrolle solcher Beschlüsse. Wie ist der Status nach 6, 12 oder 24 Monaten nach einer gerichtlichen Entscheidung aus Sicht von Mutter und Vater? Die Wirkung der Beschlüsse entzieht sich der Kenntnis der Gerichte meist bis zum Vorliegen neuer Verfahren. Dies ist aber ein grundlegendes Problem und nicht nur im Zusammenhang mit der vorliegenden Entscheidung.
Das OLG Hamm hat hier für eine sehr spezielle Konstellation eine den Umständen angemessene Entscheidung getroffen, welche die Bedürfnisse aller Beteiligten in ein angemessenes Verhältnis stellte. Die Doppelresidenz für A war dabei nicht Selbstzweck, sondern logisches Ergebnis des Bedürfnisses des Kindes nach Kontakt zu beiden Eltern.
Positiv hervorzuheben ist auch der Appell an die Eltern, die Verantwortung auch in die eigenen Hände zu nehmen:
„Es sei noch einmal betont, dass die Kindeseltern nicht eine gerichtliche Abänderung des Umgangsbeschlusses benötigen, wenn sie übereinstimmend einen anderen Umgang durchführen möchten als durch Gerichtsbeschluss angeordnet. Solange sie sich einig sind, können sie mehr oder weniger Umgang vereinbaren. Die gerichtliche Anordnung ist nur erforderlich, wenn sie sich nicht einigen können.“
Hier fehlt lediglich ein Unterstützungsangebot, wie die Eltern dies auch wieder erreichen könnten.
Nicht verständlich wurde leider, weshalb das Gericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A auf die Mutter allein übertrug. Mit der Anordnung der Umgangsregelung wären klare Verhältnisse geschaffen worden, die ein Regelungsbedürfnis für das Aufenthaltsbestimmungsrecht obsolet gemacht hätten.
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