Gerichtliche Festschreibung der Doppelresidenz bei Anträgen beider Eltern zum Aufenthaltsbestimmungsrecht


OLG Brandenburg
Aktenzeichen: 9 UF 96/17 vom 14.06.2018
Veröffentlicht in NZFam 2018,756

 

Tenor / Inhalt der Entscheidung

Zum Sachverhalt

 

 

Nach dem Auszug der Mutter aus dem gemeinsamen Haushalt wollte der Vater die Doppelresidenz leben, die Mutter aber lediglich erweiterten Umgang einräumen. Die Mutter leitete ein Sorgerechtsverfahren ein, mit dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht (ABR) auf sie übertragen werden sollte. Gründe hierfür seien ein bisher größerer Betreuungsanteil und der Wille des Kindes. Zudem sei sie konsequenter in der Erziehung. Der Vater trat dem mit einem eigenen Antrag entgegen, stellte auf die räumliche Kontinuität sowie die Bindung zur bei ihm lebenden, größeren Schwester ab.

Mit Hilfe eine Erziehungsberatungsstelle (ohne Gericht) wurde vorläufig ein paritätische Doppelresidenz gelebt. Durch das Gericht wurde ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Dort wurde empfohlen, den Lebensmittelpunkt in den Haushalt des Vaters zu legen oder aber die Doppelresidenz zu praktizieren. Das Amtsgericht übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht aufgrund der Kontinuität und der höheren Bindungstoleranz auf den Vater und hielt die Doppelresidenz aufgrund mangelnder Einigungsbereitschaft der Eltern und der größeren Distanz zum Haushalt der Mutter für nicht in Betracht kommend.

Im Verfahren vor dem Oberlandesgericht wurde letztendlich die gemeinsame Sorge der Eltern wiederhergestellt, da die Doppelresidenz auch nach Übertragung des ABR auf den Vater weiterhin gelebt wurde und nach übereinstimmender Einschätzung aller Beteiligten es dem Kind damit gut ging und das Kind sich bei beiden Eltern wohl fühlt. Die praktizierte Betreuung in Doppelresidenz hat sowohl nach Einschätzung des Sachverständigen als auch beider Eltern zu einer deutlich emotionalen Stabilisierung des Kindes beigetragen.

 

 

Kommentar von doppelresidenz.org

Dies ist ein gutes Beispiel, wie durch Augenhöhe und besonnenes Vorgehen für eine Entspannung der Situation gesorgt werden kann.

Man kann davon ausgehen, dass auch die Mutter keine ernsthaften Zweifel an der Fähigkeit des Vaters, das gemeinsame Kind zu erziehen, hatte, da auch von ihrer Seite von Anfang an ein erweiterter Umgang in Betracht gezogen wurde. Jedoch strebte sie, im Gegensatz zum Vater, eben jenes Quäntchen mehr an Zeit und Einfluss auf das Kind an.

Nachdem das Sachverständigengutachten zu einer gegenteiligen Einschätzung kam und das Amtsgericht dies in seinem Beschluss bestätigte, entfiel jedoch die Motivation, um dieses „mehr“ an Zeit und Einfluss zu kämpfen und möglicherweise Streit zu provozieren. Positiv anzumerken ist auch, dass der Vater in dieser Situation sich nicht auf den Vorteil auf seiner Seite berief, sondern weiterhin am Ziel der gemeinsamen Elternschaft festhielt. Augenscheinlich konnten sich so beide Eltern auf die Doppelresidenz und vor allem auf die Bedürfnisse ihres Kindes konzentrieren. Die noch vom Amtsgericht gehegten Bedenken lösten sich in Luft auf, dem Kind ging es deutlich besser und die Eltern fanden selbst eine Einigung für die Zukunft, die das Gericht folglich lediglich festschreiben musste.

So wenig diese Entscheidung juristisch spannend ist, so sehr zeigt sie doch, dass durch besonnene Verfahrensführung den Eltern Lösungswege offen gehalten werden können. Es zeigt auch, dass übertriebene Vorbehalte gegenüber der Doppelresidenz unbegründet sind. Eine Entscheidung zugunsten eines Elternteils, die vermutlich viele Gerichte, wie auch das Amtsgericht, getroffen hätte, hätte den anderen Elternteil unzufrieden gemacht – und auch das Kind. Dies wäre Zündstoff für weitere Konflikte und Eskalationen gewesen, die niemandem geholfen, sondern nur geschadet hätten.

Es braucht mehr solcher Entscheidungen, die den Kindern die Ressourcen beider Eltern zugänglich machen und Fehlanreize vermeiden. Die Eltern haben jetzt eine gute Ausgangsbasis, um zukünftig gemeinsam Entscheidungen für ihr Kind zu treffen.

 



Zuletzt geändert am 07.01.2019 um 15:15

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