Die Entscheidungsdatenbank befindet sich zur Zeit noch im Aufbau. Nach und nach werden wir hier weitere Entscheidugen einstellen und entsprechend in Bezug auf die Doppelresidenz kommentieren.
Nach der Trennung der Eltern im Jahr 2012 lebten die Kinder überwiegend bei der Mutter und der Vater hatte „erweiterten Umgang“. Es gab mehrere Gerichtsverfahren, in denen unter anderem der Umgang geregelt wurde mit der Perspektive, dass dieser ausgeweitet werden sollte.
Da die Mutter sich gegen eine Ausweitung weiterhin verweigerte, leitete der Vater Ende 2016 erneut ein Umgangsverfahren ein, mit dem er eine paritätische Umgangsregelung anstrebte. Dies entspreche dem Wunsch der Kinder und es sei nicht ersichtlich, was gegen eine paritätische Doppelresidenz sprechen sollte. Er wies darauf hin, dass die Mutter eine vernünftige Kommunikation und Gespräche beim Jugendamt verweigern würde.
Die Mutter trat dem entgegen und führte aus, die für eine Doppelresidenz erforderliche Kommunikation, Kooperation und Einigkeit über das Erziehungskonzept wäre nicht gegeben. Aus ihrer Sicht gäbe es in wesentlichen Punkten keinen Konsens zwischen den Eltern.
Das Amtsgericht übertrug der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, obwohl es sich um ein Umgangsverfahren handelte und dies von der Mutter gar nicht beantragt war. Es ordnete einen nochmals erweiterten Umgang von Mittwoch bis Montag alle 14 Tage an.
Das Amtsgericht führte aus, dass sich im Rahmen der sachverständigen Begutachtung beide Kinder für eine Doppelresidenz ausgesprochen hätten und es sich auch um einen „verwertbaren Kindeswillen“ handeln würde.
Trotzdem hielt es die Anordnung einer Doppelresidenz für ausgeschlossen, da die erforderliche Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern nicht gegeben sei und eine Doppelresidenz daher nicht im Interesse der Kinder sei. Aufgrund der seit Jahren verhärteten Fronten erscheine eine gute Kooperation und Kommunikation nicht möglich.
Der Vater legte gegen den Beschluss des Amtsgerichtes Beschwerde ein. Es lägen keine derart schweren Kommunikationsdefizite vor, die die Anordnung einer Doppelresidenz ausschließen würden und eine Kommunikationsstörung auch nicht generell der Anordnung einer Doppelresidenz entgegenstehen würde. Die Entscheidung werde weder dem Willen der Kinder noch den Feststellungen des Gutachtens gerecht.
Die Mutter verteidigte die Entscheidung des Amtsgerichtes und war der Meinung, der Vater würde die Kinder beeinflussen. Die Beschwerdeschrift des Vaters zeige, wie weit die Eltern von einer guten Kooperation entfernt seien. Die Einführung einer Doppelresidenz würde hohe Belastungsrisiken für die Kinder mit sich bringen.
Das Oberlandesgericht stellte fest, dass die Doppelresidenz grundsätzlich gewisse Anforderungen an Eltern und Kinder stelle und wies darauf hin, dass die Doppelresidenz im Streitfalle eher nicht anzuordnen ist, wenn Kinder dadurch eher in Loyalitätskonflikte geraten würden.
Im vorliegenden Fall wurde aber festgestellt, dass bei Abwägung der zur Verfügung stehenden Betreuungsalternativen die vom Amtsgericht angeordnete 5/9-Regelung nicht ausreichend ist.
Die Kinder hätten sich klar und deutlich für eine Betreuung in der Doppelresidenz ausgesprochen und entgegen der Behauptung der Mutter sei der Wille auch authentisch und nicht durch den Vater beeinflusst, wie auch die Sachverständige bestätigte. Die Belastung der Kinder würde durch die vom Amtsgericht getroffene Regelung nicht geringer werden. Auch die Sachverständige hatte darauf hingewiesen, dass eine hinter der Doppelresidenz zurückbleibende Umgangsregelung die Kinder nicht entlasten würde. Es musste daher eine Entscheidung getroffen werden, die die Kinder entlaste – die Anordnung der Doppelresidenz.
Auch habe die Anhörung vor dem Senat ergeben, dass die Behauptung der Mutter, zwischen den Eltern bestehe in sämtlichen Erziehungsfragen erheblicher Streit, in dieser Form nicht zutreffend sei, auch wenn die Kommunikationsfähigkeit der stark zerstrittenen Eltern weiterhin eingeschränkt sei. Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen hätten bisher nicht zur Verbesserung geführt.
Unzweifelhaft gebe des Differenzen bezüglich der religiösen Erziehung der Eltern. Ausführlich wurde im Beschluss dargelegt, dass zahlreiche weitere, von der Mutter behauptete Differenzen zwischen den Eltern tatsächlich nicht festzustellen waren.
Bei beiden Eltern sei keine Einschränkung der Erziehungskompetenz festzustellen. Beide Kinder seien belastet, aber noch in der Lage, diese Belastung zu kompensieren.
Ausgehend von den Gegebenheiten des Falles gebe es im vorliegenden Fall kein Betreuungsmodell, das nach derzeitigem Stand dem Wohl der Kinder besser entspricht als die Doppelresidenz. Daher hatten sich auch beide Gutachter nach dem „Prinzip der Schadenminderung“ für die Doppelresidenz ausgesprochen.
Alternativ wäre nur ein Umgangsausschluss des Vaters oder eine massive Reduzierung des Umganges infrage gekommen, so dass keine Kommunikation mehr stattfinden würde. Angesichts der guten Bindung der Kinder an den Vater würde eine solche Regelung dem Wohl der Kinder nicht entsprechen, sondern deren seelisches Wohl gefährden. „Die Rolle des Vaters ist für die weitere Entwicklung der Kinder genauso wichtig wie die Rolle der Mutter“ hieß es dazu.
Letztlich entscheidend sei hier der Wille der 10 und 11 Jahre alten Kinder, die sich wiederholt für eine Betreuung in Doppelresidenz ausgesprochen hätten.
Da die Eltern bereits die 5/9-Regelung lebten sei nicht zu erwarten, dass die Kommunikations- und Kooperationsanforderungen bei einer 7/7-Regelung nicht erheblich erhöhen würden. Gegen eine solche Regelung spreche, dass die Mutter mit dieser nicht einverstanden sei.
Abschließend stellte das Oberlandesgericht noch fest, dass die vom Amtsgericht vorgenommene Übertragung des Aufenthaltsrechtes auf die Mutter rechtlich überhaupt nicht möglich gewesen ist, da dies von der Mutter gar nicht beantragt wurde. Es gebe vorliegend auch keinen Grund, in die gemeinsame Sorge der Eltern einzugreifen.
Die Entscheidung zeigt wieder einmal, mit welchen Vorurteilen die Doppelresidenz zu kämpfen hat und welchen Anteil gerichtliche Sichtweisen an einer Streitdynamik haben können.
Die Mutter behauptet Streit und eskaliert damit die Situation, verweigert die Kommunikation und beruft sich dann auf die von ihr selbst geschaffenen Fakten. Das Amtsgericht folgt ihr nicht nur, es überträgt ihr auch noch das Aufenthaltsbestimmungsrecht, obwohl sie dieses gar nicht beantragt hatte und es sich um ein Umgangsverfahren handelte. Da es sich bei Sorgerechtsverfahren um Antragsverfahren handelt, gibt es hierfür keine Rechtsgrundlage, wie auch das Oberlandesgericht (OLG) später feststellte.
Hätte das Amtsgericht die Frage gestellt, welche Anstrengungen denn die Mutter unternimmt, zu einer angemessenen Kommunikation zu kommen, hätte es vielleicht der Korrektur durch das OLG vielleicht nicht mehr bedurft. Auch die Frage, ob sich die Mutter bewusst ist, dass sie mit einem solchen Verhalten den Kindern schadet, hätte eine Verhaltensänderung bewirken und den tatsächlichen Kern der Motivation zum Vorschein bringen können.
Hinzu kommt: auch das Amtsgericht hat letztlich bereits eine Doppelresidenz mit asymmetrischen Zeitanteilen angeordnet, die denselben Kommunikationsaufwand hat wie eine paritätische. Es darf also vermutet werden, dass sich das Amtsgericht noch von den häufig anzutreffenden (rechtlichen) Vorurteilen gegen die Doppelresidenz und nicht von den Fakten des Einzelfalls hat leiten lassen, zumal es sich auch gegen die Empfehlungen der Sachverständigen stellte.
Das Oberlandesgericht hat dann die entscheidenden Fragen gestellt und dabei feststellen können, dass die Eltern nicht ansatzweise so zerstritten sind, wie die Mutter dies angegeben hatte. Zwar gibt es sicherlich, wie bei vielen getrennten und auch zusammenlebenden Eltern, Verbesserungspotential. Dies konnte aber aufgrund der Fixierung der Mutter auf eine Verhinderung der Doppelresidenz nicht genutzt werden.
Was auch auffällt: das OLG stellt fest, dass für eine 5/9-Betreuung sprechen würde, dass die Mutter diese Regelung zwar mittragen würde, dies aber nicht dem Willen der Kinder entspreche. Das dies auch nicht dem Wunsch des Vaters entspreche, wird völlig übersehen und nicht gewürdigt. Gleiches bei den Überlegungen zur paritätischen Doppelresidenz – als wäre der Vater in die Überlegungen des Gerichtes überhaupt nicht einbezogen gewesen.
Nicht unkritisch ist auch, dass sich das OLG vor allem auf den Willen der Kinder stützt, um seine Entscheidung zu begründen. Dies birgt immer die Gefahr, dass im nächsten Fall versucht wird, den Willen der Kinder nachhaltig zu beeinflussen, um doch noch das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Davor sollten Kinder geschützt werden.
Besser wäre es aus unserer Sicht gewesen, sich auf die Rahmenbedingungen der Eltern zu konzentrieren, die beide grundsätzlich als erziehungsfähig bezeichnet wurden, am Wohlergehen der Kinder orientiert, diese an die Eltern gebunden sind und in akzeptabler Entfernung zueinander wohnten. Und wenn die Mutter selbst eine 5/9-Regelung problemlos mitträgt und diese im Alltag auch gelebt wird, was sollte dann faktisch gegen eine 7/7-Regelung in Form der paritätischen Doppelresidenz sprechen?
Traurig aber sehr zutreffend hat das Oberlandesgericht das „Prinzip der Schadenminimierung“ angeführt. Die Doppelresidenz hält im konkreten Fall die negativen Auswirkungen des Elternstreits auf die Kinder in Grenzen. Da häufig zu beobachten ist, dass die gelebte Doppelresidenz mit Elternschaft auf Augenhöhe zu einer Deeskalation des Elternstreits führt bleibt im Interesse der Kinder zu hoffen, dass dies auch hier zutrifft.
Besser als die Hoffnung wäre es jedoch, wenn dem Familienrecht zukünftig das Leitbild der Doppelresidenz als möglichst deeskalative Basis zugrunde gelegt wird Es sollte auch stärker darauf geachtet werden, welcher Elternteil sich um Einigung bemüht und welcher Streit provoziert und anheizt.
Hier sei auch erneut der eindringliche Appell an die Rechtsprechung gerichtet ihrer Verantwortung gerecht zu werden, zum Schutze der Kinder Streit zu vermeiden und diesen nicht, wie im vorliegenden Fall, noch anzuheizen. Hätte das OLG hier nicht so besonnen reagiert, um das „Kindeswohl“, welches die Gerichte eigentlich wahren sollen, wäre es vermutlich nicht gut bestellt gewesen.
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