Die Entscheidungsdatenbank befindet sich zur Zeit noch im Aufbau. Nach und nach werden wir hier weitere Entscheidugen einstellen und entsprechend in Bezug auf die Doppelresidenz kommentieren.
Die Eltern des mittlerweile 3-jährigen Kindes übten nach einem Beschluss des Amtsgerichtes die Doppelresidenz aus. Die Mutter legte Beschwerde ein und forderte eine 5:9-Betreuung zu ihren Gunsten. Der Vater trat der Beschwerde mit einer Anschlussbeschwerde entgegen die zum Ziel hatte, die Doppelresidenz fortzusetzen und nur für den Fall der Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung den Lebensmittelpunkt in seinen Haushalt zu verlegen.
Nach kurzer Beziehung wurde die gemeinsame Tochter geboren, die Mutter trennte sich vom Vater durch Auszug ca. 6 Monate nach der Geburt. Es gab noch einen etwas älteren Halbbruder aus einer früheren Beziehung der Mutter. Die Tochter lebte anfangs beim Vater, später wechselten sich die Eltern in der Betreuung täglich ab. Die Mutter forderte die überwiegende Betreuung durch sich, vor dem Amtsgericht wurde eine Umgangsregelung vereinbart, die ca. 4 Tage beim Vater und ca. 3 Tage bei der Mutter zum Ergebnis hatte. Die Eltern modifizieren die Umgangsregelung in Bezug auf die Wochenenden später einvernehmlich, damit auch die Mutter Wochenendzeit mit der Tochter hatte.
Mit Ihrem Antrag erstrebte die Mutter ein „Lebensmittelpunktmodell“, bei dem der Schwerpunkt der Betreuung bei ihr liege und der Vater Umgang im Verhältnis von 9:5 Tagen (auf einen 14-Tages-Zeitraum gesehen) habe. Sie begründete dies, dass die Umgangsregelung ein Umgangsübergewicht beim Vater hätte. Aus ihrer Sicht habe sich gezeigt, dass die Regelung dem Kindeswohl zuwiderliefe. Das Kind habe keinen Lebensmittelpunkt und habe mit Belastungssymptomen und Verlustängsten reagiert, das Kind hätte regelmäßig Bronchialinfekte und der Vater würde nicht mit ihr kommunizieren, die Kommunikation mit ihm sei schwierig.
Der Vater trug vor, das Kind entwickle sich „prächtig“ ohne größere Probleme. Man habe sich vor der Geburt geeinigt, dass er überwiegend die Betreuung des Kindes übernehmen solle, die Mutter „verhalte sich in ihrer Stimmung ihm gegenüber sehr wechselhaft und unstet. Dazu verweist er auf eine zeitweilige stationäre Behandlung der Mutter in der psychiatrischen Abteilung des ... -Krankenhauses B... und hebt einzelne Handlungen der Mutter hervor, die dazu Anlass gegeben hätten, an ihrer psychischen Verfassung zu zweifeln. So soll die Mutter im April 2016, als er T... auf eine beruflich veranlasste 10-tätige Reise nach Südafrika mitgenommen habe, in seine Wohnung eingedrungen sein und die Wände mit Vorwürfen und Parolen beschmiert haben. Später habe sie diese wieder entfernt. Ihm sei daran gelegen, die getroffene Vereinbarung möglichst kontinuierlich zu leben, um Konflikte mit der Mutter zu vermeiden.“
Im parallelen Sorgerechtsverfahren wurde die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Dieses ergab, dass beide Eltern unterschiedliche Persönlichkeitsakzentuierungen hätten und beide Defizite in Bezug auf die Kommunikationsfähigkeit und die Bindungstoleranz aufweisen. Hinsichtlich ihrer Betreuungs- und Erziehungseignung seien sie aber noch ausreichend kompetent. Die erheblichen Konflikte zwischen den Eltern halte das Kind aufgrund seiner Resilienz noch aus.
Die psychologische Sicht spreche nicht unbedingt für die Beibehaltung der Doppelresidenz.
„Aus familiensystemischer Sicht seien die Risiken, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Festlegung des Lebensmittelpunktes bei einem Elternteil mit sich bringen würden, jedoch deutlich höher zu bewerten. Denn T... sei ein zufriedenes Kind, das sicher an beide Eltern gebunden sei und sich positiv entwickle. Das Kind profitiere vom regelmäßigen Kontakt zu beiden Elternteilen und dem Ausgleich der gegensätzlichen Persönlichkeitstendenzen; das bislang gelebte paritätische Betreuungsmodell habe sich bewährt. Auch wenn die Mutter als instabiler eingeschätzt werde und Einschränkungen in Bezug auf ihre Feinfühligkeit bestünden, empfiehlt die Sachverständige eine Weiterführung des bislang praktizierten paritätischen Wechselmodells, weil es insgesamt zu einer Beruhigung geführt hätte und von beiden Elternteilen im Grundsatz akzeptiert werde.“
Das Amtsgericht ordnete eine paritätische Doppelresidenz im Rhythmus 2:2:3 an. Die Doppelresidenz werde bereits seit längerer Zeit gelebt, habe sich bewährt, das Kind entwickle sich gut.
„Dass die Fähigkeit der Eltern, miteinander zu kommunizieren und für das Kind gemeinsam Entscheidungen zu treffen, erheblich eingeschränkt sei, stünde im konkreten Fall der Entscheidung für ein paritätisches Wechselmodell nicht entgegen, weil die Eltern trotz aller Konflikte, die sie miteinander austrügen, sich in allen sorge- bzw. umgangsrechtsrelevanten Fragen - ausgenommen den Lebensmittelpunkt und die Umgangsregelung - stets hätten einigen können und sie das seit April 2017 praktizierte Wechselmodell seither im Wesentlichen störungsfrei hätten umsetzen können. Im Interesse des Kindes sei der mit dem Wechselmodell verbundenen Bindungskontinuität der Vorrang einzuräumen gegenüber dem unzureichenden Kommunikationsverhalten der Eltern, zumal beide Eltern gleichermaßen erziehungsgeeignet seien und ihre Erziehungsstile sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden würden.“
Die Mutter legte Beschwerde gegen diese Entscheidung ein und forderte eine 5:9-Betreuung (auf 14 Tage gesehen) zu ihren Gunsten. Das Kindeswohl sei aufgrund des hohen Konfliktniveaus nicht gewahrt. Sie war auch nicht der Meinung, dass die Doppelresidenz störungsfrei praktiziert worden wäre und führte dazu aus ihrer Sicht relevante Punkte auf. Auch bei den persönlichen Übergaben „verhalte sich der Vater unverändert irritierend und könne mit ihr nicht reden“.
Der Vater akzeptierte die Entscheidung des Amtsgerichtes und legte Anschlussbeschwerde ein für den Fall, dass die Ausgangsentscheidung in der Beschwerde keinen Bestand haben sollte. Nur in diesem Fall solle der Lebensmittelpunkt des Kindes in seinem Haushalt liegen, er wolle aber weiterhin an der Doppelresidenz festhalten. Die Sachverständige hätte das Wechselmodell gerade aufgrund des Elternkonflikts empfohlen. Die Situation hätte sich dadurch entspannt.
Das Kammergericht wies sowohl die Beschwerde der Mutter als auch die Anschlussbeschwerde des Vaters zurück. Begründet wurde dies aus rechtlicher Sicht vor allem damit, dass die Beschwerden nicht den hohen Anforderungen an die Abänderung einer Umgangsregelung nach §1696 Abs. 1 Satz 1 BGB gerecht werden. Dies wurde folgend ausführlich anhand der vorliegenden Fakten rechtlich begründet, da die Eltern bereits vorher eine gerichtliche Umgangsregelung geschlossen hatten.
Dem stehe auch nicht entgegen, dass das Amtsgericht eine Abänderung dieser früheren Regelung vorgenommen hatte. Aus der 4:3-Regelung zugunsten des Vaters hatte es eine paritätische Doppelresidenz angeordnet. Es handelte sich damit nur um eine geringfügige Anpassung und nicht um eine substantielle Änderung der Umgangsregelung. Es bleibe im Kern bei der paritätischen Doppelresidenz.
Die von den Eltern in der Beschwerde erstrebte Änderung auf ein „Lebensmittelpunkt-Modell“ im Verhältnis von 5:9 Tage hingegen wäre eine substantielle Änderung der Lebensverhältnisse des Kindes und der hierfür erforderliche Abänderungsmaßstab sein nicht gegeben und würde dem Kontinuitätsgrundsatz, den der §1696 BGB sichern soll, widersprechen. Die Eltern hatten praktisch seit das Kind 7 Monate alt war dieses in paritätischer Doppelresidenz betreut.
„Die hauptsächliche Betreuung des Kindes durch nur einen Elternteil entspricht dagegen nicht mehr dem Kontinuitätsprinzip. Das liegt auf der Hand; ein paritätisches Wechselmodell ist etwas anderes als eine “konventionelle” Umgangsregelung und zwar auch dann, wenn die Eltern einen erweiterten Umgang praktizieren wollen. Denn bei einem Wechselmodell verfügt das Kind über zwei gleichberechtigte Lebensmittelpunkte in den Haushalten beider Elternteile und nicht nur über einen Lebensmittelpunkt.“
Zu den von der Mutter gegen die Doppelresidenz angeführten Aspekte führte das Gericht aus:
„Die von der Mutter angeführten Gesichtspunkte, die aus ihrer Sicht gegen das praktizierte paritätische Wechselmodell sprechen sollen - nämlich u.a. die Belastungssymptome, die sie bei T... festgestellt hat; die Verlustängste, mit denen das Kind auf das Abholen reagieren soll oder die bei T... gehäuft auftretenden Bronchialinfekte und die weiteren, von ihr im Anhörungstermin aufgeführten Aspekte, die in der Summe dazu führen sollen, dass es dem Kind mittlerweile zwar besser, aber nicht gut gehen soll - konnten im Ergebnis nicht festgestellt werden: Der Vater trägt vor, dass T... sich unter der bestehenden Umgangsregelung prächtig entwickle und es zu keinen größeren Problemen komme. Im Anhörungstermin hat er erklärt, das Kind sei nach seinem Dafürhalten sehr gelöst und ihm ginge es gut. Die Sachverständige hat hierzu festgestellt, dass T... ein gesundes, altersgerecht entwickeltes Kind sei. Im ersten “Kitawinter” sei T... zwar verstärkt infektanfällig gewesen, aber nach Angaben der Kinderärztin, mit der die Gutachterin sich in Verbindung gesetzt hat, lägen die Infekte im durchschnittlichen Rahmen. Auch in Bezug auf die psycho-emotionale Entwicklung vermochte die Sachverständige bei T... keine Beeinträchtigungen festzustellen; T... sei im Kontakt mit beiden Elternteilen ausgeglichen und entspannt. Insgesamt erscheine sie als zufriedenes Kind.“
Das von der Mutter favorisierte “Lebensmittelpunkt-Modell” würde auch nicht dazu führen, dass die Belastungsmomente, die sie bei dem Kind meint, festgestellt zu haben, wegfallen würden: Auch bei dem von ihr angestrebten erweiterten Umgang des Vaters würde das Kind in regelmäßigen Abständen in den Haushalt des Vaters wechseln und dabei könnte es weiterhin zu den von der Mutter beschriebenen Verlustängsten bei dem Kind kommen; also etwa, wenn sie an den Umgangstagen des Vaters nur G... aus der von beiden Kindern besuchten Kita abhole.
Andere Vorteile der von der Mutter, mit der Anschlussbeschwerde letztlich aber auch vom Vater angestrebten Umgangsregelung, die geeignet wären, die mit der erstrebten Abänderung der bestehenden Regelung verbundenen Nachteile deutlich zu überwiegen, seien aus Sicht des Gerichts nicht ersichtlich:
In ihrer Erziehungsfähigkeit wären die Eltern vergleichbar. Mängel gäbe es bei beiden jedoch in Bezug auf die Bindungstoleranz. Trotz der verbalen Anerkennung der Rolle des jeweils anderen Elternteils für das Kind und der Hervorhebung von positiven Aspekten der Betreuung von T... durch den jeweils anderen Elternteil seien beide Elternteile nur eingeschränkt bindungstolerant. Denn beide sähen letztendlich sich selbst als die wichtigere Bezugsperson für T..., werteten sich selbst auf und den anderen Elternteil ab, um so die von ihnen jeweils gewünschte überwiegende Verortung des Kindes in ihrem Haushalt zu rechtfertigen.
Die Einschränkungen, die aus den Schwierigkeiten beider Elternteile resultieren, angemessen miteinander zu kommunizieren, Konflikte konstruktiv auszutragen und Entscheidungen im Interesse des Kindes gemeinsam zu treffen, seien nach dem derzeitigen Stand nicht so hoch, dass sie die Nachteile einer Abänderung deutlich überwiegen würden:
Insoweit weise die Mutter zu Recht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hin (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 - XII ZB 601/15, BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 [bei juris Rz. 25, 31]), wonach bei einer bestehenden hohen elterlichen Konfliktbelastung das Wechselmodell regelmäßig nicht dem Kindeswohl entspreche. Richtig sei weiter, dass die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider Eltern als eher schlecht einzuschätzen ist. Die Sachverständige habe hierzu festgestellt, dass für beide Eltern die gegensätzlichen Persönlichkeitsakzentuierungen eine Überforderung im Kontakt mit dem jeweils anderen darstellten, die nach wie vor anhalten soll. Auch sollen beide Elternteile nicht ausreichend in der Lage sein, Auseinandersetzungen konstruktiv zu führen und Entscheidungen im Interesse des Kindes gemeinsam zu treffen. Aus psychologischer Sicht soll die eingeschränkte Elternkommunikation nicht unbedingt für eine Beibehaltung der paritätischen Betreuung sprechen. Allerdings bewerte die Sachverständige die Risiken, die eine Festlegung des Lebensmittelpunktes bei nur einem Elternteil mit sich bringen würden, aus familiensystemischer Sicht deutlich höher.
Die Konflikte haben noch nicht ein Maß erreicht, welches die Anordnung einer Doppelresidenz ausschließen würde. Der Elternstreit belastet (noch) nicht das Kind, sondern T... ist ein zufriedenes Kind, das sicher an beide Eltern gebunden sei. Beide Eltern haben wichtige Entscheidungen für das Kind in der Vergangenheit gemeinsam getroffen, wie detailliert ausgeführt wurde.
Mutter und Vater haben beide übereinstimmend gegenüber der Sachverständigen bekundet, dass sie sich eine Weiterführung des praktizierten Wechselmodells vorstellen könnten. Die Mutter hat gegenüber der Sachverständigen eigens hervorgehoben, dass T... sich in der aktuellen 50/50-Betreuung wohl fühle. Auch betont sie, dass es für sie “kein Problem” sei, den Vater, der ihres Erachtens zufolge bei der Kinderbetreuung “nicht der Erfahrenste” sei, zu unterstützen: Derartige Äußerungen zeigen nach Dafürhalten des Senats, dass die Eltern im Alltag möglicherweise weitaus besser kooperieren können als angenommen. Dieser Einschätzung schlossen sich auch Jugendamt und Verfahrensbeistand an.
Als weiterer wichtiger Punkt komme hinzu, dass mit der Klärung des Umgangs bzw. einem Lebensmittelpunkt von T... in beiden Haushalten ist ein gewichtiger Streitpunkt zwischen den Eltern entfallen. Wenn die Eltern die vereinbarten gemeinsamen Beratungsgespräche in der Eltern- und Familienberatung aufnehmen bzw. fortführen würden, erscheine es nicht ausgeschlossen, dass sie nach und nach zu einer verbesserten Kommunikation in der Lage sein werden und sich ihre Situation entspannt.
Entscheidend komme hinzu, dass ein von der Mutter angestrebtes “Lebensmittelpunkt-Modell” für sich genommen keine Besserung der schlechten elterlichen Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten erwarten ließe. Die Erklärungen der Mutter gegenüber der Sachverständigen, sie könne gegenüber dem Vater sicherstellen, dass dieser sich einbringen dürfe und Informationen über das Kind erhalte sei nicht nachvollziehbar und konnte von der Mutter auch im Anhörungstermin vor dem Senat letztlich nicht näher erläutert werden. Es sei nicht ersichtlich, dass eine elterliche Kommunikation nur dann stattfinden könnte, wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Mutter bestimmt sein solle.
Denn auch bei dem von der Mutter favorisierten Umgangsmodell fänden weiterhin Wechsel zwischen den Haushalten beider Eltern statt; es sei kaum zu erwarten, dass sich die Anzahl der Übergaben des Kindes und damit der wechselseitigen Kontakte der Eltern wesentlich verringern würden. Auch die Anzahl der Themen, die von den Eltern zu regeln wären bzw. zu denen sie eine Einigung finden müssten, würden durch einen Umgang im “Lebensmittelpunkt-Modell” nicht weniger, da die Eltern die Sorge für das Kind gemeinsam ausübten.
Dafür, dass das irritierende Verhalten des Vaters bei den Übergaben von T... oder das wechselseitige “Nicht-miteinander-reden-können” der Eltern, über das die Mutter sich beklagte, bei einer Umgangsregelung im “Lebensmittelpunkt-Modell” ein Ende finden würden, sei ebenfalls nichts ersichtlich. Weshalb der Vater die Mutter, wenn T... ihren Lebensmittelpunkt im mütterlichen Haushalt hätte, mehr oder besser über die Turngruppe von T... informieren würde oder er die Telefonnummer der Eltern der besten Freundin von T... aus dem Kindergarten von sich aus preisgeben würde anstatt dass die Mutter die Telefonnummer bei nächster Gelegenheit selbst in Erfahrung bringt - diese Beispiele hatte die Mutter als Vorteile einer “Lebensmittelpunkt-Regelung” in der Anhörung angeführt - sei schließlich auch nicht nachvollziehbar.
Entsprechendes gelte für den Austausch der Eltern untereinander in anderen, die gemeinsame Tochter betreffenden Fragen wie beispielsweise die Mitgabe von Wechselkleidung, die Entscheidung über die Notwendigkeit ärztlicher Behandlungsmaßnahmen, die Abstimmung von Arztterminen oder die Erörterung von Vorkommnissen in der Kita: Auch insoweit sei nicht zu erwarten, dass die Umstellung von einem paritätischen Wechselmodell zu einem Umgang im “Lebensmittelpunkt-Modell” zu einer nachhaltigen Verminderung des Konfliktpotentials beitragen würde.
Eher im Gegenteil: Wenn der Umgang in einer “Lebensmittelpunkt-Regelung” geregelt werden sollte und ein Elternteil sich dabei aller Voraussicht nach als “Verlierer” im Elternstreit fühlen würde, könnte das möglicherweise sogar dazu führen, dass sich die elterlichen Kommunikations- und Kooperationsdefizite weiter verschärfen. Da in diesem Fall ein Elternteil den Streit um das Kind aus subjektiver Sicht “verloren” hätte, lässt sich die Befürchtung nicht völlig von der Hand weisen, dass in diesem Fall der Elternkonflikte weiter angeheizt werden könnte und sich sodann möglicherweise zu einer Bedrohung für das Wohl von T... aufschaukeln würde. Diese Prognose deutet in die gleiche Richtung wie die Feststellungen der Sachverständigen, wonach die Eltern zwar sehr gut die Belastungen des Kindes reflektieren könnten, sie aber die Schuld hierfür jeweils im Verhalten des anderen Elternteils suchen würden und nicht in der Lage seien, ihre dysfunktionalen Kommunikationsmuster zugunsten der kindlichen Bedürfnisse zu verändern.
Das Kammergericht kommt daher letztendlich zu dem Schluss: Im konkreten Einzelfall weisen andere Betreuungsmodelle im Vergleich mit der praktizierten Doppelresidenz denn auch nicht derartig gewichtige Vorteile auf, dass die nachteiligen Auswirkungen der Abänderung für die Kontinuität der Lebens- und Erziehungsverhältnisse von T... dadurch aufgewogen würden. Nachfolgend werden im Beschluss die Vor- und Nachteile der einzelnen Optionen gegenübergestellt.
Für eine hauptsächliche Betreuung von T... durch die Mutter in ihrem Haushalt könnte auf den ersten Blick zwar sprechen, dass das Kind in diesem Fall mehr Zeit mit dem (Halb-) Bruder G... verbringen könnte. Abgesehen von der (nicht geklärten) Frage, ob die Beziehung von T... zu einem Halbgeschwisterkind der Bindung zum eigenen Vater nachgeordnet werden kann und der Erkenntnis der Familienpsychologie, dass die emotionale Nähe zwischen Halbgeschwistern weniger eng ist als zu leiblichen Geschwistern (vgl. Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten [6. Aufl. 2015], Rn. 1194), könnte sich hierbei jedoch das von der Sachverständigen festgestellte impulsive Verhalten der Mutter sowohl in der Kommunikation mit dem Vater aber aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur auch im Kontakt mit dem Kind als nachteilig erweisen. Denn die Sachverständige hat festgestellt, dass die Mutter Provokationen schlechter unter Kontrolle habe als der Vater.
Für eine hauptsächliche Betreuung von T... durch den Vater bzw. die Regelung eines Umgangs mit einem Lebensmittelpunkt des Kindes in dessen Haushalt könnte zwar sprechen, dass der Vater das Kind bisher kontinuierlich betreut hat und ihm über alle Betreuungsmodelle hinweg eine stabile Bezugsperson war; die bislang gemachten Erfahrungen zeigen, dass er in der Lage ist, seine beruflichen Anforderungen und die Kinderbetreuung gut miteinander in Einklang zu bringen. Allerdings würde in diesem Fall der Kontakt von T... zu G... in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt werden.
Es bleibe bei der gemeinsamen Betreuung von T... im Wechselmodel nicht, um die elterliche Kommunikation zu verbessern, sondern hierbei hat es trotz des nicht optimalen, verbesserungswürdigen Kommunikationsverhaltens der Eltern sein Bewenden, weil diese Lösung der seit langem praktizierten Betreuung entspricht und kein Betreuungsmodell ersichtlich ist, das dem Kindeswohl besser entsprechen und die Nachteile einer Abänderung der bestehenden Verhältnisse überwiegen würde. Die beiden Rechtsmittel seien daher zurückzuweisen.
Das Gericht weist die Eltern noch auf die Auflage der Fortführung der Beratung hin, jedoch auch darauf, dass diese Auflage aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht vollstreckbar sei. Es wurde angeregt, dass sich das Jugendamt von der Erziehungs- und Familienberatungsstelle darüber informieren lässt, ob die Gespräche tatsächlich aufgenommen und fortgeführt werden.
Bezeichnend an der Ausgangssituation ist, dass die Mutter einerseits ein Betreuungsübergewicht des Vaters beklagte, dieses aber offensichtlich problemlos für sich selbst reklamierte, obwohl der Vater nachweislich bisher den größeren Anteil der Betreuungsarbeit übernommen hatte. Hier stellt sich die Frage, mit welchem Selbstverständnis die Mutter diese so für sich in Anspruch nimmt, obwohl sie selbst gegenüber der Sachverständigen angegeben hatte, dass sich das Kind in der Doppelresidenz gut entwickle. Die Motivation der Mutter scheint hier also nicht primär an den Interessen des Kindes ausgerichtet zu sein.
Der Vater war mit der Reduzierung seines Betreuungsübergewichtes hingegen einverstanden und hat nicht auf möglichen Vorteilen für sich beharrt. Seine Grenze war am Punkt der gleichberechtigten Elternschaft erreicht, was nachvollziehbar ist, denn warum sollte ein Elternteil hinter den anderen zurückstehen, wenn er in gleicher Weise für die Betreuung und Erziehung des Kindes geeignet ist.
Das Kammergericht stand bei seiner Entscheidungsfindung vor einer besonderen Herausforderung, da beide Eltern relevante Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit aufwiesen. Es war also klar, dass das Kind bei keinem Elternteil optimale Erziehungs- und Entwicklungsbedingungen vorfinden wird. Die Doppelresidenz war in diesem Fall also auch eine Option, um die Defizite des einen Elternteils durch den jeweils anderen kompensieren zu können. Dem Kind wurde so die Möglichkeit gegeben, trotz der Defizite jedes einzelnen Elternteils ein möglichst breites Spektrum an Entwicklungsmöglichkeiten zu erhalten.
Ein wenig bedauerlich ist es, dass auch das Kammergericht die schon lange wiederlegte „Lebensmittelpunkt-These“ aufgegriffen hat (siehe auch OLG Hamburg 2 UF 106/14). Im Ergebnis wurde zwar zutreffend festgestellt, dass diese These vorliegend keine Berechtigung findet. Es wäre aber zu wünschen, dass auch bei den Gerichten die Einsicht einkehrt, dass der Lebensmittelpunkt eines Kindes nicht erst bei 50%, sondern häufig auch schon bei 35% oder weniger bei beiden Eltern liegen kann. Hier braucht es das Verständnis, dass das Empfinden von Kindern nicht unbedingt mit den Normierungs- und Standardisierungswünschen von Juristen übereinstimmt. Einen Lebensmittelpunkt hat das Kind dort, wo es mit seinen Eltern lebt, sofern dies nicht nur gelegentlich ist. Es können also auch zwei „Mittelpunkte“ sein, da dies nicht mathematisch, sondern emotional zu sehen ist. Es sollte daher vielleicht weniger gefragt werden, wo das Kind seinen (mathematischen) Lebensmittelpunkt hat, sondern wo sich ein Kind „zuhause“ fühlt. Dies würde die Beantwortung dieser Frage häufig deutlich erleichtern.
Gut herausgearbeitet wurde, dass der Vater aufgrund der Erfahrungen der Rechtsprechung gewissermaßen gezwungen war, Anschlussbeschwerde einzulegen. Hätte sich das Kammergericht der von einigen Gerichten vertretenen Auffassung angeschlossen, dass bei Streit die Doppelresidenz aufzuheben gewesen wäre, so hätte er zumindest seine eigene Rechtsposition gewahrt. Es ist dem Beschluss allerdings zu entnehmen, dass das eigentliche Ziel des Vaters war, die Doppelresidenz fortzuführen. Hätte sich die Mutter entschieden, ihre Beschwerde zurückzunehmen, wäre gleichzeitig auch die Anschlussbeschwerde des Vaters hinfällig geworden, da er (bewusst?) keine eigene Beschwerde, sondern lediglich eine Anschlussbeschwerde eingereicht hatte. Somit ein durchaus adäquates und den rechtlichen Notwendigkeiten folgendes Vorgehen, solange der Gesetzgeber keine klareren Regelungen definiert.
Etwas erstaunt konnte man beim aufmerksamen Lesen des Beschlusses schauen, wenn es um die Kommunikations- und Kooperationsprobleme, die von der Mutter thematisiert wurden, ging. Diese räumte selbst ein, dass diese kein Problem mehr seien, wenn sie erst den Lebensmittelpunkt des Kindes bei sich hätte. Das Kammergericht hat diesen Wiederspruch in der Argumentation erkannt und deutlich klargestellt, dass es davon ausgehe, dass die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern deutlich besser sei, als vorgetragen wurde. Hier zeigt sich, dass die angeblichen Probleme wohl wieder einmal nur erzeugt wurden, um sich selbst einen Vorteil im gerichtlichen Verfahren zu verschaffen. Dies ist leider eine Folge der verfehlten Rechtsprechung der vergangenen Jahre, welche einen Elternteil schon förmlich dazu nötigte, möglichst viele Konflikte zu erzeugen, um im gerichtlichen Verfahren erfolgreich zu sein. Gut, dass das Kammergericht sich hier nicht hat hinter Licht führen lassen und damit einen streitvermeidenden Kurs einschlägt und damit ein Signal auch für zukünftige weitere Verfahren sendet.
Es wäre aber in Fällen, in denen der Verdacht der bewussten Eskalation besteht wünschenswert, wenn die Gerichte hier noch deutlicher herausstellen, dass eine bewusste Eskalation und Verweigerung von Kommunikation und Kooperation letztlich auch zum Entzug des Sorgerechts und zum Wechsel des Kindes zum anderen Elternteil führen können. Solche klaren und deutlichen Hinweise würden in den Fällen, in denen der Elternteil zur Änderung seines Verhaltens in der Lage ist, zu einer nachhaltigen Befriedung des Konfliktes führen und bei Veröffentlichung solcher Beschlüsse auch ein klares Signal setzen, was die Familiengerichte von den Eltern erwarten – ein kooperatives Miteinander zum Wohle des Kindes im Sinne des viel zu wenig beachteten §1627 BGB.
Seine liebe Not hatte das Kammergericht auch mit der Anordnung weiterer, anscheinend dringend notwendiger Beratungen. Dass diese nicht durchsetzbar sind ist ein Problem, welches nicht die Gerichte lösen können. Hier ist der Gesetzgeber dringend aufgefordert, den notwendigen Rahmen zu schaffen, damit solche Anordnungen, die dem langfristigen Schutz der Kinder dienen, auch durchgesetzt oder mit Konsequenzen / Ordnungsmitteln belegt werden können. Schließlich sind die Eltern nicht dem Gericht, sondern ihren Kindern die Inanspruchnahme solcher Hilfen schuldig, damit die Kinder entlastet werden. Das Kammergericht hat hier aber im Rahmen seiner Möglichkeiten zumindest noch den Hinweis in Richtung des Jugendamtes gegeben, dass das Jugendamt sich über die Aufnahme und Ergebnisse in der Erziehungs- und Familienberatungsstelle informieren lassen soll. Hier wurde quasi der Staffelstab vom Gericht ans Jugendamt übergeben, damit die weiterhin hilfebedürftigen Eltern nach Ende des Gerichtsverfahrens weiterhin Unterstützt werden und die Umsetzung auch nachgehalten wird, um eine Verschlechterung der Situation des Kindes zu verhindern.
Es wäre wünschenswert, wenn solche „Staffelstabübergaben“ von einer zur nächsten Stelle Standard wären und verbindlicher für alle Seiten definiert werden bis der Entwicklungsprozess der Eltern erfolgreich abgeschlossen werden kann. So ließe sich vermeiden, dass die Eltern zwar einen gerichtlichen Beschluss hätten, die Umsetzung praktisch aber nicht funktioniert und Kinder dabei zu Schaden kommen. Skandale wie der in Staufen sollten hier ein mahnendes Beispiel sein.
Ein weiterer Punkt, der immer wieder zu Problemen führt und auch in diesem Verfahren angeführt wurde ist die Abänderbarkeit von gerichtlichen Umgangsentscheidungen. Hier haben die Gerichte teils sehr unterschiedliche Auslegungen. Das Kammergericht sieht kleinere Anpassungen nicht als Abänderung und hat daher folgerichtig auch die hier vorgenommenen Änderungen nicht am strengen Maßstab des §1696 BGB gemessen – eine durchaus praktikable, nachvollziehbare Herangehensweise, welche auch den praktischen Erfordernissen gerecht wird.
Es drängt sich aber die Frage auf, ab wann eine Abänderung gerechtfertigt ist. Dies liegt nach wie vor im Ermessen des Gerichtes und würde kein Problem darstellen, wenn dies von einigen Gerichten nicht sehr dogmatisch ausgelegt werden würde. So kann eine für ein 3-jähriges Kind getroffene Umgangsregelung im Zweifelsfall bis zu dessen 18 Geburtstag fortbestehen. Hierbei sollte immer bedacht werden, dass das Leben von Kindern sich dynamisch entwickelt und damit permanenten Anpassungen unterworfen ist. Grundsätzlich wäre damit ein Abänderungsmaßstab, der die zeitliche und entwicklungspsychologische Komponente mitberücksichtigt, wünschenswert. Auch hier fehlt den justiziablen Regelungen bisher die notwendige Flexibilität, die die dynamische Entwicklung von Kindern eigentlich erfordern würde, auch wenn dies bei der vorliegenden Entscheidung nicht zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
Denn das Kammergericht hat in vorbildlicher Art und Weise die verschiedenen Betreuungsoptionen miteinander verglichen und deren Vor- und Nachteile nicht nur anhand der Vorträge der Eltern, sondern auch anhand eigener Einschätzung und unter Berücksichtigung des Gutachtens abgewogen.
Im Ergebnis war die Doppelresidenz nicht die optimale Betreuungsform. Dies lag aber weniger am Betreuungsmodell, sondern an den Defiziten der Eltern. Aufgrund deren Verhaltens gab es für dieses Kind keine optimale Betreuungsform. Die Doppelresidenz wies aber im Vergleich zum Residenzmodell bei der Mutter noch Vorteile auf, ebenso wie gegenüber dem Residenzmodell beim Vater, wobei dieser dies primär ja auch nicht anstrebte.
Die Doppelresidenz wurde zudem als beste Ausgangsbasis für eine positive Entwicklung des defizitären Elternverhältnisses gesehen. Jede Form des Residenzmodells, welches den Eltern die Augenhöhe nimmt und einem Elternteil mehr Einfluss auf das Kind gibt, hätte die Gefahr zunehmender Eskalation und damit einer stärkeren Belastung des Kindes geboten. Die Fortführung der bereits bis dahin für das Kind positiv gelebten Doppelresidenz war somit in letzter Konsequenz die einzige echte Alternative, die das Gericht wählen konnte. Nicht trotz der Defizite und des Streits der Eltern, sondern gerade wegen dieser. Damit hat das Kammergericht gezeigt, dass frühere Vorurteile gegen die Doppelresidenz nicht haltbar sind und eine vorurteilsfreie Betrachtung der Betreuungsmodelle für Kinder zu besseren Ergebnissen führen
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