Geld, Macht und Einfluss gibt niemand gerne auf – so formulierte es die damalige Familienministerin Manuela Schwesig – es ging um Führungspositionen in Unternehmen und die gleichberechtigte Chance von Frauen auf ebendiese Positionen.
Geld, Macht und Einfluss gibt niemand gerne auf. Auf diese einfache Formel könnte man auch viele Streitigkeiten nach einer Trennung der Eltern reduzieren. Das Problem dabei? Die Kinder sind das Mittel zur Zielerreichung. Betreuungszeit und Verfügungsmacht – durchaus auch über den anderen Elternteil, hängen im geltenden Familienrecht unmittelbar mit dem Kind zusammen. Hier werden kindeswohlfremde Fehlanreize gesetzt.
Verstärkt werden diese häufig noch durch den Umstand, dass Streit von vielen Professionen als Argumentation herangezogen wird, um gemeinsames Sorgerecht oder aber auch die Doppelresidenz abzulehnen. Das fatale dabei: es wird nicht geschaut, woher der Streit kommt, wer den Streit anheizt oder wer nach Wegen zur Lösung sucht. Dies führt häufig dazu, dass der Elternteil, der das Kind überwiegend bei sich hat, den Streit bewusst und oftmals aus taktischen Gründen, eskaliert. Letztlich stellt dies einen Missbrauch der elterlichen Sorge dar. Anstatt dass dieses Fehlverhalten gegenüber dem eigenen Kind geahndet wird, wird es noch belohnt – mit Geld, Macht und Einfluss.
Prof. Hildegund Sünderhauf in einem Interview in der „Welt“ vom 11.06.2019 „Einige Mütter wollen den Vater eleminieren“
"Wenn Eltern streiten, wer wann wohin in den Urlaub fährt, dann haben sie kein rechtliches Problem, sondern ein Kommunikationsproblem. Ein Familiengericht ist da eigentlich die falsche Adresse. Die Alternative wäre eine verpflichtende Mediation. Die gesetzliche Grundlage dafür gibt es bereits: Im BGB steht, dass Eltern sich einigen müssen.
Derzeit aber werden sie für den Konflikt sogar belohnt. Mehr noch: Die angebliche Hochstrittigkeit ist sogar Prozesstaktik."
Inwiefern?
"Der Bundesgerichtshof hat 2017 entschieden, dass ein Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann. Für hoch konfliktverstrickte Parteien sei es aber in der Regel nicht geeignet. Das bedeutet: Solange man sich auf Teufel komm raus streitet, kann man ein Wechselmodell verhindern. Es gibt sogar Ratgeber, die dafür eine genaue Anleitung geben! Das ist aber die falsche Richtung."
Der Gesetzgeber hat eigentlich mit dem §1627 BGB bereits eine gute Grundlage ins Gesetz geschrieben, um solche Streitigkeiten einzudämmen. Dort steht:
„Die Eltern haben die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen.“
Der eigentlich gute Gedanke des Gesetzgebers hilft allerdings nicht, wenn die Gerichte diesen in der Praxis ad absurdum führen und der Meinung sind es wäre irrelevant, welcher Elternteil für den Streit verantwortlich wäre. Mit gesundem Menschenverstand dürfte kaum nachzuvollziehen sein, weshalb ein Elternteil, der gegen den zum Schutz der Kinder gegebenen Rahmen der elterlichen Sorge verstößt, dafür auch noch belohnt werden soll. Niemand würde auf die Idee kommen ein Kind bei dem Elternteil zu belassen, der gegen §1631 (2) BGB verstößt – dass Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung.
Vielleicht braucht es hier ein verstärktes Verständnis, dass auch das Eskalieren von Streit und die damit verbundenen Belastungen von Kindern letztlich eine Form von Gewalt gegen das Kind ist – es wird instrumentalisiert im Trennungsstreit der Eltern, die Beziehung zum anderen Elternteil wird nachhaltig belastet oder gar zerstört (Eltern-Kind-Entfremdung) und trägt hiervon oftmals langwierige oder gar lebenslange Schädigungen davon, welche sich selbst in Folgegenerationen noch nachweisen lassen – Stichwort transgenerationale Effekte.
Hier braucht es vor allem verantwortungsvolles Handeln von Gerichten und Institutionen – deren fach- und sachgerechte Aus- und Fortbildung wird seit Jahrzehnten gefordert, passiert ist noch immer nichts, verbunden mit der Tatsache, dass internationale wissenschaftliche Erkenntnisse in der Rechtsprechung bis heute kaum Einzug finden.
Grundsätzlich ist es erst einmal wichtig, dass beide Eltern sich von Anfang an Gedanken machen, wie sie ihre Elternschaft leben wollen und dies auch tatsächlich miteinander besprechen. Häufig haben werdende Eltern das Bild im Kopf, die Mutter kümmert sich um das Kind und der Vater bringt das Geld nach Hause – glücklich sind oftmals beide nicht mit dieser Aufteilung, wie Studien seit Jahren immer wieder belegen.
Und schon in dieser frühen Phase sollten sich Eltern darüber bewusst werden, wie eine Rollenverteilung die spätere eigene Entwicklung beeinflusst – Stichwort Karriereknick, Teilzeitfalle, Altersarmut. Aber auch die Entwicklung der Kinder sollte nicht außer Acht gelassen werden: diese profitieren von der Erziehung durch beide Eltern und das nicht erst nach einer Trennung.
Arbeitgeber und auch der Gesetzgeber können dafür sorgen, dass beide Eltern einen gleichberechtigten Zugang sowohl zur Elternschaft als auch zur Arbeitswelt haben. Neben einer Abschaffung des Ehegattensplittings wäre auch das Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit und die gleichberechtigte Aufteilung der Erziehungszeiten zwischen beiden Eltern sowie eine Phase der gemeinsamen Familienarbeitszeit, auch über das Kleinkindalter hinaus, wichtige Maßnahmen – bisher konzentrieren sich Unterstützungen für Eltern vorwiegend auf die ersten zwei bis drei Lebensjahre der Kinder. Hier muss umgedacht werden.
Diese Maßnahmen können aber nur einen grundsätzlichen Rahmen geben. Wenn nach einer Trennung der Eltern die zuvor beschriebenen Fehlanreize bestehen hilft es wenig, wenn die Eltern vorher gleichberechtigt und gleichverantwortlich ihre Elternschaft gelebt haben.
Neben einer grundsätzlichen Ausrichtung des Familienrechts auf den Grundsatz der fortbestehenden gemeinsamen elterlichen Verantwortung mit dem Leitbild der Doppelresidenz (zur grundrechtliche Erforderlichkeit aus Kinder- und Elternsicht siehe https://www.doppelresidenz.org/page/blogposts/warum-das-leitbild-doppelresidenz-28wechselmodell29-rechtliche-notwendigkeit-ist-49.php und https://www.doppelresidenz.org/page/blogposts/sind-gemeinsames-sorgerecht-und-gemeinsame-erziehung-28doppelresidenz-wechselmodell29-das-recht-eines-kindes-52.php ) ist den Eltern vor allem möglichst konsequent der Boden für Streitigkeiten zu entziehen.
Solange Streit und Geld miteinander verbunden sind, bestehen Fehlanreize. Ein zeitgemäßes Unterhaltsrecht könnte beispielsweise so angelegt sein, dass beide Eltern grundsätzlich die Pflicht haben, ihre Betreuungsverantwortung zu 50% wahrzunehmen. Kann ein Elternteil dies nicht leisten, so müsste er versuchen, sich mit dem anderen Elternteil zu einigen und diese Betreuungsleistung, die er selbst nicht erbringen kann, auch entsprechend zu vergüten – dies wäre ein grundsätzlicher Perspektivwechsel. Und eine Verhinderung der Betreuungszeit des anderen Elternteils? Ändert nichts an Unterhalt, solange dieser Elternteil seine Betreuung anbietet (sollte aber Konsequenzen auf anderer Ebene in Form von Ordnungsgeldern etc. haben können). Gerichtlich abgewichen hiervon sollte nur werden, wenn die Betreuung dem Kind schaden würde oder aus tatsächlichen Gründen von einem Elternteil nicht geleistet werden kann.
Positiver Nebeneffekt: gleiche Pflichten, Chancen und Risiken für beide Eltern, deutlich weniger Alleinerziehende, da beide Eltern nicht nur Motivation haben, ihre Kinder zu betreuen, sondern notfalls auch beide in der Pflicht sind. Wer seine Kinder am Wochenende, in den Ferien oder im Rahmen eines sogenannten „erweiterten Umgangs“ betreuen kann, muss sich im Zweifelsfall auch seiner Betreuungsverpflichtung zu 50% stellen und könnte hierzu auch gerichtlich verurteilt werden – oder halt eine Lösung mit dem anderen Elternteil suchen. Optimaler Weise würden Eltern in solchen Fällen durch einfache Orientierungen zur Berechnung wie z.B. dem Rosenheimer Modell (http://rosenheimermodell.de/) oder Berechnungsmethoden in Belgien, bei denen feste %-Beträge vom Einkommen für die jeweilige Anzahl von Kindern und Betreuungszeit angesetzt werden.
Unterhaltszahlungen wären hierbei nur für „nicht selbst erbrachte Betreuungsleistungen“ zu zahlen – durchaus auch ein Gedanke für zusammenlebende Eltern, bei denen einer Karriere macht und der andere beruflich, zumindest zeitweise, zugunsten des Partners oder der Partnerin zurücksteckt – und dann für Altersvorsorge und spätere berufliche Entwicklung finanziell vorsorgen kann. Was bei getrennten Eltern sichergestellt sein muss: dass die Kinder in beiden Haushalten zumindest ein gesichertes Existenzminimum haben.
Kommunikationsverweigerung, unberechtigte Vorwürfe und der einfache Grundsatz, gegen alles zu sein was der andere Elternteil möchte – das ist heute nicht nur eine erhebliche Belastung für die Kinder, sondern vor allem ein Erfolgsmodell. Welche Motivation sollte also der Elternteil, der das Kind überwiegend in seiner Betreuung hat, haben, mit dem anderen Elternteil zu kooperieren? Solange Gerichte ihre Sicht auf das Thema Konflikt und Streit nicht ändern – keine. Eine denkbar schlechte Ausgangsposition für Beratung oder Mediation. Wie also könnte man Eltern dazu motivieren, einen anderen Weg zu beschreiten?
Der Richter konnte die Doppelresidenz nicht verhindern
Vor ein Paar Jahren regte sich ein Richter im Gespräch auf, dass er es nie geschafft hatte, im Gerichtssaal eine Doppelresidenz zu verhindern, wenn diese von einem Elternteil gefordert wurde. Wie konnte das sein?
Aus seiner Erfahrung forderte der Elternteil, der die Doppelresidenz ablehnte, einen Umgang von lediglich vier, fünf oder sechs Tagen für den anderen Elternteil. Alles andere wäre nicht im Kindeswohl, eine Doppelresidenz wäre entschieden abzulehnen.
Als Richter konnte er, auch in Übereinstimmung mit den weiteren Verfahrensbeteiligten, eigentlich nur feststellen, dass beide Elternteile sich gut um die Kinder kümmern konnten, Gründe, weshalb ein Elternteil nicht dazu in der Lage sein sollte waren nicht erkennbar – auch nicht von dem Elternteil, der die Doppelresidenz ablehnte – schließlich hatte ja auch dieser durchaus das Vertrauen, dass der andere Elternteil das Kind zu einem erheblichen Anteil ebenfalls betreute.
Dieser Richter wollte aber unter keinen Umständen eine Doppelresidenz gegen den Willen des bis dahin hauptbetreuenden Elternteils anordnen. Also kündigte er an, dem Wunsch des hauptbetreuenden Elternteils folgen zu wollen. Das Kind würde zukünftig überwiegend beim anderen Elternteil leben und die vorgeschlagene Umgangsregelung einfach umgedreht werden – niemand hatte ja Zweifel daran, dass auch der andere Elternteil sich gut um das Kind kümmern konnte.
Überraschender Weise folgte nach einer Denk- und Verhandlungspause dann in allen Fällen der Vorschlag des bisher hauptbetreuenden Elternteils, dass die Doppelresidenz wohl doch die Beste Betreuungsform für das Kind sei. Die Eltern schlossen einen Vergleich und die Kinder lebten glücklich und zufrieden mit beiden Eltern.
Und der Richter? Hatte es wieder einmal nicht geschafft, dem Willen des hauptbetreuenden Elternteils, den er als unbedingt im Kindeswohl erforderlich hielt, zu folgen und die Doppelresidenz zu verhindern. Anscheinend lag die Motivation doch weniger beim Kind, als bei den eigenen Wünschen.
Als positiven Nebeneffekt gab es natürlich auch kein Beschwerdeverfahren, keine weiteren Belastungen für Kinder und Eltern und die Gewissheit bei beiden Eltern, dass Streiten nicht zum Erfolg führt.
Eine gute Basis, um zukünftige Herausforderungen als Eltern gemeinsam zu bewältigen. Der Richter, dessen Aufregung natürlich mit einem Augenzwinkern versehen war, hatte einfach die Motivationslagen erkannt und so genutzt, dass der Blick auf die Bedürfnisse des Kindes wieder möglich wurde.
So einfach könnte man es umschreiben. „Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen“ aus dem zuvor bereits zitierten §1627 BGB müsste zur Leitlinie des Familienrechts werden. Wer dies nicht versucht, wer sich gar verweigert, muss dann damit rechnen, dass das Kind überwiegend beim anderen Elternteil aufwächst der bereit ist, zum Wohle seines Kindes auch die eigenen Befindlichkeiten zurück zu stecken. Bis dahin sollten beide Eltern bestmöglich unterstützt werden, um zu einem gemeinsamen Weg für ihre Kinder zu finden. Die „Cochemer Praxis“ war und ist hierfür eine gute Vorlage – sie müsste nur flächendeckend und verbindlich eingeführt und um hochqualifizierte Beratungs- und Mediationsangebote ergänzt werden.
Es braucht nicht viel, um Eltern den Weg hin zu einer gemeinsamen Einigung zu ebenen. Es müssen nur die entsprechenden Maßnahmen in die Wege geleitet werden. Bereits heute können Gerichte mit einer besonnenen Verfahrensführung Streit verhindern oder aber deeskalieren – die Doppelresidenz kann in vielen, sich nicht allen, Fällen eine gute Lösung für Eltern und Kinder sein. Beispiele die Schule machen sollten finden sich bereits in der Rechtsprechung, sind aber leider noch in der Minderheit, wie auch unsere Entscheidungsdatenbank immer wieder zeigt.
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