„Bei Geld hört die Freundschaft auf“ – wie wir ein Unterhaltsrecht schaffen können, das die Interessen von Müttern und Vätern berücksichtigt, Streit vermeidet und die Kinder gut versorgt
Wenn Mann und Frau zu Mutter und Vater werden, gehen sie eine Verantwortungsgemeinschaft ein – sie sind gemeinsam verantwortlich für das Kind. Anders als vertragliche Beziehungen ist diese Verantwortungsgemeinschaft NICHT auflösbar. Zwar kann die Partnerschaft beendet werden, die elterliche Verantwortungsgemeinschaft jedoch besteht weiterhin.
Diese Verantwortungsgemeinschaft besteht sowohl in der praktischen Sorgearbeit als auch in finanzieller Hinsicht. In der Sozialgesetzgebung, im Steuerrecht und auch im Unterhaltsrecht – speziell Kindesunterhalt - wird immer noch eine Arbeitsteilung zwischen den Eltern gefördert, die die Betreuungsarbeit einem Elternteil und die finanzielle Verantwortung dem anderen Elternteil überträgt. Diese Nachkriegsregelung war Leitbild bis in die späten 1990er Jahre und löst sich erst langsam mit der Elternzeit- und Elterngeldpolitik seit 2007 ab.
Auch die Unterhaltsrechtsreform von 2008 setzt im Grundsatz auf mehr Eigenverantwortung beider Elternteile. Einerseits wirkt sie nicht nachhaltig in die richtige Richtung, weil sie nicht hinreichend und flankierend mit Gesetzesänderungen im Steuer- und Sozialrecht einhergeht. Andererseits lässt sie noch Fragen und Regelungslücken offen, generell und insbesondere für nichteheliche Verantwortungsgemeinschaften.
Spätestens die Diskussion um die Doppelresidenz (Wechselmodell) hat aufgezeigt, dass das geltende Unterhaltsrecht, dass das Residenzmodell als Ausgangspunkt hat, den Anforderungen an heutige Familienleben nicht mehr gerecht wird. Durch die Entschließung 2079 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates[1] und die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs[2][3] werden auch in Deutschland zunehmend Eltern das Wechselmodell nach einer Trennung in Anspruch nehmen (wollen). Die Berechnung des Unterhaltsanspruchs gestaltet sich hier je nach Voraussetzung und geplanter Aufteilung der Verantwortung äußerst komplex.
Das Unterhaltsrecht bedarf daher einer Neuregelung, die unserer Sicht nach eines grundlegenden Paradigmenwechsels bedingt. Wir wollen nachfolgend konkrete Vorschläge für das Unterhaltsrecht unterbreiten, welche einfacher handhabbar sind und den Übergang vom bisherigen in ein zeitgemäßes Unterhaltsrecht ermöglichen.
Die Vorschläge für ein zeitgemäßes Unterhaltsrecht unterliegen folgenden Grundsätzen:
Die vorgeschlagenen Regelungen haben folgende Vorteile:
„Ein Mann ist keine Altersversorgung“ ist ein passendes Zitat der ehemaligen Familienministerin Renate Schmidt, mit welchem sie vor allem an mehr Eigenverantwortung von Müttern für ihre eigene finanzielle Absicherung appelliert.
Zu Beginn der Elternschaft müssen sich daher beide Elternteile bewusst sein, dass längere Auszeiten aus der Berufstätigkeit zu finanziellen Einbußen führen werden (niedrigere Lohnersatzleistungen, geringere Renten- und Pensionsansprüche, schwieriger Wiedereinstieg mit weiteren Einbußen im Gehalt). Scheitert die Beziehung von Ehepaaren, können die Einbußen nur noch sehr eingeschränkt, bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften gar nicht mehr, ausgeglichen werden. Hier bedarf es des Bewusstseins für die Folgen der eigenen Entscheidungen und für elterliche Aushandlungsprozesse auf Augenhöhe. Wie der Gesetzgeber Paare in diesem Prozess unterstützen kann und sollte, wird weiter unten erläutert.
Elternschaft ist eine gemeinsame Verantwortung. Beide Eltern haben per se die gleichen Rechte und Pflichten – auch zur Betreuung und Versorgung der Kinder. Wenn ein Elternteil weniger als die Hälfte der Betreuung übernehmen möchte oder kann, hat dieser eine Kompensation zu tragen, um dem anderen Elternteil für die übernommene Betreuungsarbeit und damit einhergehende berufliche und finanzielle Einschränkungen (inkl. Einbußen in der Altersvorsorge) auszugleichen. Dies gilt sowohl für zusammenlebende als auch für getrenntlebende Familien.
Die elterliche Solidarität gilt aber auch in Fällen, in denen ein Elternteil schuldlos, z.B. durch Krankheit, gehindert ist, seiner elterlichen Verantwortung nachzukommen. In diesem Fall hat vorrangig der andere Elternteil die Betreuung zu übernehmen (siehe unter Punkt 5).
Nach einer Trennung der Eltern als Paar besteht die Verpflichtung zur Betreuung und Versorgung der Kinder weiterhin gemeinsam. Hier sollte der Grundsatz bestehen, dass beide Eltern zu gleichen Teilen verpflichtet sind, diese Betreuung zu übernehmen. Jedes Elternteil hat nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht, sich hälftig in die Sorge des Kindes einzubringen. Hiervon soll nur abgewichen werden, wenn der Umgang eines Elternteils dem Wohl des Kindes widerspricht (negative Kindeswohlprüfung).
Möchte oder kann ein Elternteil seine Betreuung nicht im ihm obliegenden Umfang wahrnehmen, so hat dieser initiativ die Verpflichtung, mit dem anderen Elternteil die Übernahme des eigenen Betreuungsanteils und einer gerechten Kompensation zu vereinbaren. Schriftliche Elternvereinbarungen sind ein sinnvolles Instrument, die gemeinsame Verantwortung zu fixieren und auf die persönliche Situation abzustimmen. Änderungen sind dann in der Elternvereinbarung festzuhalten.
Die Notwendigkeit zur Verhandlung geht somit von dem Elternteil aus, der seiner Betreuungsverantwortung nicht im vollen Umfang nachkommen möchte. Ein Elternteil kann sich seiner Verantwortung daher nicht ohne Kompensation und Regelung entziehen.
Nimmt ein Elternteil seine Verpflichtung ohne Absprache mit dem anderen Elternteil nicht war, sollte die Durchsetzung der Betreuungsverpflichtung auf Antrag in einem vereinfachten Verfahren durchgeführt werden können. Für nicht übernommene Betreuung sollte dann eine Entschädigungszahlung an den die Betreuung übernehmenden Elternteil erfolgen. Wir empfehlen %-Sätzen vom Monatseinkommen als Bemessungsgrundlage.
Leben Eltern zusammen, so liegt es in ihrer Verantwortung, wie viel (oder wie wenig) sie jeweils für die Versorgung der Kinder aufwenden – Elternautonomie. Es kann i. d. R. davon ausgegangen werden, dass Eltern ihren Kindern die bestmögliche Teilhabe gewähren und sie entsprechend ihrem Lebensstandard versorgen. Dieser Grundsatz sollte auch auf die getrenntlebende Familie übertragen werden.
Beide Eltern haben in ihrem Haushalt mindestens das Existenzminimum des Kindes zu gewährleisten. Das Kind partizipiert ansonsten in jedem elterlichen Haushalt von dessen Lebensstandard. Weitere Transferleistungen für das Kind finden zwischen den Eltern nicht statt.
Die staatliche Eingriffsschwelle ist sowohl bei gemeinsam als auch bei getrennt lebenden Eltern erst dort erreicht, wo Kinder zu verwahrlosen drohen oder die Eltern nicht in der Lage sind, die finanzielle Versorgung des Kindes sicher zu stellen. Zur Existenzsicherung werden hier beispielsweise Leistungen nach SGB II für die Versorgung des Kindes gewährt. Alternativ wäre hier auch die Kindergrundsicherung ein Modell (siehe unten).
Jeder Elternteil ist unterhaltsrechtlich zur Ausübung einer in Anbetracht der Kinderbetreuung angemessenen Erwerbstätigkeit verpflichtet, um mindestens das Existenzminimum des Kindes sicherzustellen. Sollte ein Elternteil nicht in der Lage sein, das Existenzminimum des Kindes zu sichern, so muss der andere Elternteil im Zuge der elterlichen Solidarität zur Deckung des Existenzminimums im anderen Haushalt beitragen.
Staatliche Leistungen für das Kind werden erst dann erforderlich, wenn beide Eltern gemeinsam nicht in der Lage sind, das Existenzminimum des Kindes in beiden Haushalten durch eigene Einkünfte sicher zu stellen. Über eine Kindergrundsicherung wird allen Kindern dieses Existenzminimum gewährt.
Bei zahlungsunfähigen Eltern übernimmt die Kindergrundsicherung vollständig der Staat, bei allen anderen Eltern beteiligen sich die Eltern. Der Staat übernimmt nur dann anteilig die Leistungen in der Kindergrundsicherung, die die Eltern im Rahmen ihrer Einkommensmöglichkeiten nicht tragen können.
Mit dieser Regelung würde auch der Unterhaltsvorschuss entfallen. Der elterliche Lastenausgleich wird anders geregelt (siehe Punkt 5).
Während der oben beschriebene Kindesunterhalt nur die Sicherung des Existenzminimums des Kindes darstellt, muss es natürlich Transferleistungen an das andere Elternteil geben, wenn ein Elternteil seiner Betreuungsverpflichtung nicht (vollständig) nachkommen will oder kann. Dieser muss dann die Übernahme seiner eigenen Betreuungspflicht dem anderen Elternteil entlohnen. Die Entlohnung soll dem anderen Elternteil den finanziellen Freiraum geben, die zusätzlich übernommenen Betreuungszeiten selbst tätigen zu können, ohne Fremdbetreuung über Gebühr beanspruchen zu müssen.
In welchem Umfang die Betreuungsleistung entlohnt wird, ist in erster Linie zwischen den Eltern zu regeln. Hierfür sollten Richtlinien entwickelt werden, die Eltern, und im Zweifelsfall auch Gerichten, eine Orientierung geben.
Denkbar sind Modelle, die sich am Einkommen des Elternteils orientieren, der seine Betreuungsverpflichtung nicht in vollem Umfange wahrnehmen kann oder will. Auch zusätzliche Leistungen zur Altersabsicherung für den mit zusätzlichen Betreuungsaufgaben belasteten Elternteil sind denkbar. Die zwischen den Eltern gefundenen Regelungen sind in der Elternvereinbarung festzuhalten.
Ist ein Elternteil schuldlos, z.B. durch Krankheit, gehindert, die Betreuung des Kindes selbst wahrzunehmen, so wäre dies in Bezug auf den zu leistenden Unterhalt mindernd zu berücksichtigen im Rahmen der elterlichen Solidarität. Hier geht es ausschließlich um den elterlichen Ausgleich.
Versucht ein Elternteil die Betreuungszeiten des anderen Elternteils unter niederen Beweggründen und unter Beeinflussung des Kindes absichtlich zu reduzieren, so kann der in seiner Betreuungszeit eingeschränkte Elternteil eine Entschädigung fordern oder seinen Entlastungsausgleich mindern, wenn er grundsätzlich bereit und in der Lage ist, die Betreuung selbst zu übernehmen.
Eine Trennung der Eltern kann zu größeren Entfernungen zwischen deren Wohnorten beider Eltern führen. Das kann auch zu höheren Kosten zur Wahrnehmung des Umganges mit dem Kind führen. Hier sollte es einen ganz einfachen Grundsatz geben: wer aus der bisherigen Umgebung des Kindes wegzieht, muss die damit verbundenen Kosten für beide Elternteile tragen.
Mit dem Wegzug eines Elternteils kann die Reduzierung der Betreuungszeit des bleibenden Elternteils verbunden sein. Es sind zwei Varianten denkbar, für die folgende Regelungen gelten sollen:
Spätestens mit Geburt des Kindes werden die ersten Weichen für die Ausgestaltung der Elternschaft gestellt. Grundsätzlich haben beide Eltern dieselbe Verantwortung, sich um das Kind zu kümmern. Bislang überwiegt dennoch eine traditionelle Teilung von Betreuungs- und Erwerbsarbeit zwischen den Eltern.
Dies zeigt sich bereits bei der Inanspruchnahme von Elternzeit, die bei Müttern im Durchschnitt bei 14 Monaten und bei Vätern zwischen 3 und 4 Monaten beträgt[4]. 72 % der Väter beziehen nur über die Dauer von 2 Monaten Elternzeit[5], die fälschlicherweise als „Vätermonate“ bezeichnet dem Konzept der egalitären Aufteilung der Betreuungsarbeit zwischen den Eltern widerspricht. Dabei sprechen sich drei Viertel der Eltern für eine partnerschaftliche Aufteilung der Elternzeit aus.[6]
Der Gesetzgeber sollte diesen Wunsch zum Auftrag nehmen, die Elternzeit verpflichtend zu gleichen Bezugsdauern für beide Elternteile zu ändern. Eine Nichtinanspruchnahme der Elternzeit durch ein Elternteil führt zum Verfall dieser Elternmonate. Begleitend muss neben dem Mutterschutz eine gleichlange Schutzfrist für Väter eingeführt werden. Auch Väter sollen in dieser Schutzfrist unkündbar sein und sich zusammen mit der Mutter insbesondere in den ersten Wochen um das Neugeborene kümmern können.
Ein weiterer Fehlanreiz für die tradierte Arbeitsteilung zwischen Eltern stellt das Ehegatten-Splitting dar. Das Ehegattensplitting fördert zudem Ehen auch ohne Kinder, wirkt am stärksten bei einer Aufteilung der Erwerbseinkommen von 100:0 und berücksichtigt keine nichtehelichen Verantwortungsgemeinschaften. Das Ehegatten-Splitting muss daher abgeschafft werden zu Gunsten einer Individualbesteuerung mit direkter Förderung von Kindern (Kindergrundsicherung, Infrastrukturinvestitionen in Kinderbetreuungseinrichtungen etc.).
Auch das Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit sowie die Schaffung einer Familienarbeitszeit können die partnerschaftliche Wahrnehmung gemeinsamer elterlicher Verantwortung stärken.
Staatliche Leistungen, wie z.B. das Kindergeld, sollen zukünftig immer zu gleichen Teilen an beide Eltern ausgezahlt werden, sowohl vor als auch nach einer Trennung der Eltern. Hiervon soll nur dann abgewichen werden, wenn der andere Elternteil unbekannt, tatsächlich nicht greifbar oder verstorben ist.
Standesämter und Steuerberater sollen verpflichtet werden, Paare über die Möglichkeiten einer bedarfsgerechten Altersabsicherung oder sonstige finanzielle Vereinbarungen aufzuklären.
Die beste Vorsorge von Eltern für eine eigenständige finanzielle Absicherung ist eine Berufswahl mit angemessenen Löhnen, eine Berufslaufbahn ohne lange Unterbrechungen von einer Vollzeit- oder zumindest vollzeitnahen Erwerbstätigkeit. Ein ungleiches Verhältnis von Einkommen in Paarbeziehungen führt meist zu einem langen Ausstieg und anschließend langer Periode einer Teilzeittätigkeit niedrigen Stundenumfangs des geringer verdienen Ehepartners.
Die damit verbundenen finanziellen Risiken durch geringere Renten- und Pensionsansprüche gelten unabhängig vom Geschlecht, werden bisher meist von Müttern getragen. Entscheiden sich Paare dennoch für eine ungleiche Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit, braucht es auch während des Zusammenlebens von Eltern im weiteren beschriebene Kompensationen, um die finanziellen Lasten durch die Übernahme elterlicher Betreuungsverantwortung nicht alleine einen Elternteil tragen zu lassen.
Mit unseren Vorschlägen für ein zeitgemäßes Unterhaltsrecht wollen wir zu einem Umdenken und zu einem gesetzlichen Paradigmenwechsel auffordern, der bei den Menschen schon lange angekommen ist und sich nun auch in gesetzgeberischen Maßnahmen wiederfinden soll.
info@doppelresidenz.org
[1] Resolution 2079(2015) vom 2.10.2015, http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=22220&lang=en
[2] BGH Az. XII ZB 599/13 vom 5.4.2014 http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=69726&anz=1&pos=0&Frame=4&.pdf
[3] BGH Az. XII ZB 601/15 vom 1.1.2017 http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=77519&anz=1&pos=0&Frame=4&.pdf
[4] Statistisches Bundesamt: www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Soziales/Elterngeld/Publikationen/_publikationen-innen-leistungsbezuege-kreise.html?nn=206104#234692
[5] Statistisches Bundesamt: ebd.
[6] BMFSFJ: www.bmfsfj.de/bmfsfj/massnahmen-fuer-mehr-vereinbarkeit-vorantreiben/115764
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