Schützt Doppelresidenz vor Eltern-Kind-Entfremdung?



Am 12.02.2020 um 20:15 Uhr wird der Spielfilms „Weil Du mir gehörst“ ausgestrahlt, in dem sehr berührend die Entwicklung einer Eltern-Kind-Entfremdung gezeigt wird. Hierbei dürfte es sich ohne Übertreibung um den bedeutendsten Film der letzten Jahrzehnte zu diesem Themenfeld handeln. Im Anschluss an den Film wird es ab 21:45 Uhr eine prominent besetzte Diskussionsrunde, moderiert vom ARD-Rechtsexperten Frank Bräutigam, in der ARD-Mediathek und auf daserste.de geben, zu der auch wir herzlich einladen.

In den letzten Tagen erreichte uns im Zusammenhang mit dem Film mehrfach die Frage, ob die Doppelresidenz (Wechselmodell) eine Eltern Kind-Entfremdung hätte verhindern können. Hierzu wollen wir gerne Stellung nehmen.

Grundsätzlich kann dazu gesagt werden, dass die Doppelresidenz die Beziehung und Bindung der Kinder an beide Eltern stärkt und festigt. Dies gilt auch in Fällen, in denen sich die Eltern nicht einig sind und streiten (vergl. Linda Nielsen, 2018, Joint versus sole physical custody: Outcomes for children independent of family income or parental conflict, Journal of Child Custody)

Auch ermöglicht die Doppelresidenz den Kindern, eigene Erfahrungen und Erlebnisse mit beiden Elternteilen zu haben. Dies mindert die Möglichkeit der negativen Beeinflussung gegen den jeweils anderen Elternteil und kann als Schutzfaktor gegen eine Eltern-Kind-Entfremdung gesehen werden. Hinzu kommt, dass die Doppelresidenz in vielen Fällen auch zu einer nachhaltigen Entspannung des Elternkonfliktes beiträgt und somit Kinder direkt entlastet.

 

Doppelresidenz schützt nicht vor kindeswohlgefährdendem Verhalten

 

 

Doppelresidenz schützt allerdings nicht vor den Belastungen, die Kinder aufgrund eines bewusst oder unbewusst manipulativen Verhaltens von Elternteilen erleiden. Eltern-Kind-Entfremdung ist eine Form von emotionalem Missbrauch an Kindern. Hier kann die Doppelresidenz die Folgen nur abmildern oder verzögern. Eine Verbesserung für das Kind kann letztendlich aber nur erfolgen, wenn

  • der beeinflussende und manipulierende Elternteil sein Verhalten aufgibt und positiv verändert
  • das Kind dem Einfluss des beeinflussenden und manipulierenden Elternteils entzogen wird

Hier wird auch deutlich, welche Auswirkungen die Wahl des Betreuungsmodells letztlich haben kann. Anders als häufig in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen, geht es hier aber nicht um Limitierungen im Bereich der Kinder. Diese haben bei zwei liebevollen Eltern selten Probleme mit der Doppelresidenz. Die Probleme liegen vor allem im Fehlverhalten von Elternteilen.

Daher soll an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen werden, welche Grundvoraussetzungen wir für die Doppelresidenz sehen:

Die Eltern müssen „fit & loving“, also Erziehungsfähig und am Wohlergehen ihrer Kinder interessiert sein. Sowohl die Erziehungsfähigkeit als auch das Interesse am Wohlergehen der Kinder ist aber nicht gegeben, wenn ein Elternteil das Kind aktiv gegen den anderen Elternteil beeinflusst und damit eine Eltern-Kind-Entfremdung vorantreibt. Eine Doppelresidenz würde in diesen Fällen aus unserer Sicht kein geeignetes Betreuungsmodell darstellen.

Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass in solchen Fällen das Residenzmodell die bessere Wahl wäre. Nicht nur im Film „Weil Du mir gehörst“, auch in der Praxis wird dieser Lösung meist der Vorzug gegeben, allerdings in die völlig falsche Richtung.

Wie im Film „Weil Du mir gehörst“ werden die Kinder meist noch stärker dem Einfluss des manipulierenden und entfremdenden Elternteils ausgesetzt, indem der Umgang mit dem erziehungsfähigen und am Wohl des Kindes interessierten Elternteil reduziert und nach einiger Zeit dann manchmal sogar ausgesetzt wird. Fachkräfte und Familiengerichte wirken auf diese Weise, häufig unbewusst, aktiv an der Eltern-Kind-Entfremdung und damit letztlich am Missbrauch des Kindes mit. Das Kind ist dem dann schutzlos ausgeliefert.

Argumentiert wird in solchen Fällen häufig mit „Kontinuität“ und „stärkerer Bindung“. Beide Punkte stehen in einem durchaus engen Zusammenhang und zeigen auf, welche Entwicklung es in der Vergangenheit gab. Es sind somit rückwärts gerichtete Betrachtungen, die zudem außer Acht lassen, dass die Bindungen von Kindern kein statisches Konstrukt sind. Sie verändern sich im Laufe der kindlichen Entwicklung mehrfach. Kinder tendieren meist mal mehr zur Mutter, mal mehr zum Vater. Dies stellt ein völlig normales Verhalten im Zuge der Entwicklung von geschlechterspezifischen Rollenverhaltens dar.

Zu treffende Entscheidungen sind aber auf die Zukunft ausgerichtet und müssten daher vor allem auf Fragen wie Förderkompetenz und Bindungstoleranz / Bindungsfürsorge ausgerichtet sein. Diese sind für die zukünftige Entwicklung der Kinder hin zu einer eigenständigen und gesellschaftsfähigen Persönlichkeit von entscheidender Bedeutung. Gerade diese Eigenschaften bringen entfremdende Elternteile nicht auf, da sie sowohl den anderen Elternteil ablehnen als auch dem Kind die durch den anderen Elternteil wichtige und mögliche Förderung in emotionaler, intellektueller und auch wirtschaftlicher Weise entziehen. Ihr Verhalten ist an den eigenen Bedürfnissen und Interessen und nicht an denen der Kinder ausgerichtet.

Bei fehlender Einsichtsfähigkeit des entfremdenden Elternteils ist die einzige, die Kinder entlastende, Maßnahme, die Kinder dem Einfluss dieses Elternteils zu entziehen. Hierbei ist zu prüfen, ob der andere Elternteil in der Lage ist, den Kindern die notwendige Förderung und Kontaktpflege zum anderen Elternteil zu ermöglichen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, sollte ein möglichst frühzeitiger Wechsel zum anderen Elternteil erfolgen, bevor die Entfremdung zu weit voranschreitet und ein Wechsel nur noch unter deutlichen Belastungen möglich wäre.

 

Doppelresidenz als Perspektive?

 

 

Die im Film „Weil Du mir gehörst“ gezeigten Handlungsweisen der Mutter deuten auf eine nicht verarbeitete Paar-Trennung, vielleicht auch in Kombination mit eigenen Trennungserfahrungen in der Kindheit hin (die Großmutter erwähnt gegenüber dem Großvater „Du hast ja keine Ahnung wie es ist, Alleinerziehend zu sein“). Ihre eigenen Emotionen verwehren ihr die Möglichkeit, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen und ihr Handeln darauf auszurichten. Aus diesem Grund benötigt das Kind in diesem Moment Schutz vor den Handlungen der Mutter.

Durch Beratung und therapeutische Unterstützung kann es aber möglich sein, dass auch sie mit der Zeit wieder in der Lage sein wird, die Paartrennung zu überwinden, mit dem Vater auf Elternebene in den Austausch zu treten und sich an den Bedürfnissen des Kindes zu orientieren.

Inwieweit die im Film portraitierte Tochter ihrer Mutter die Manipulation und Beeinflussung verzeihen kann wäre ein weiterer wichtiger Schritt, der häufig durch Zeit, Liebe, therapeutische Unterstützung und vor allem Einsichtsfähigkeit geheilt werden kann.

Wäre die vorgenannten Punkte positiv bewältigt, dann wären grundsätzlich auch wieder die Voraussetzungen für eine Doppelresidenz geschaffen.

Dem würde in dem im Film skizzierten Fall lediglich die von der Mutter geschaffene Entfernung von über 200 km zwischen den Wohnorten von Vater und Mutter sprechen. Es würde in diesem Fall vor allem im Verantwortungsbereich der Mutter liegen, die notwendigen Voraussetzungen für eine Doppelresidenz wiederherzustellen. Vom Vater wäre, wie von jedem verantwortungsvollen Elternteil, zu fordern, dass er seinen Beitrag dazu leistet, die Beziehung zwischen Mutter und Tochter zu fördern und notwendige Maßnahmen zu ergreifen.

Ob eine Doppelresidenz infrage kommt, liegt wie auch hier meist in den von den Eltern zu verantwortenden Rahmenbedingungen. Fachkräfte und Familiengerichte dürfen aber nicht dem Elternteil, der die Doppelresidenz verhindern möchte, die Verfügungsgewalt über die Kinder erteilen. Sie würden sich sonst eines Missbrauchs der elterlichen Fürsorgepflicht mitschuldig machen. Dies sollte unbedingt verhindert werden.

 

Unterstützung zur fachlichen Einschätzung

 

 

Das KiMiss-Institut der Universität Tübingen hat anhand der im Film „Weil Du mir gehörst“ gezeigten Vorfälle und Handlungen aufgezeigt, in welchem Umfang das „Kindeswohl“ beeinträchtigt wurde und hierzu eine Auswertung erstellt.

Auswertung des KiMiss-Instituts zum Film "Weil Du mir gehörst" (pdf)

Diese zeigt exemplarisch, anhand welcher Kriterien die Beeinträchtigung von Kindern messbar gemacht werden kann und ab welchem Punkt ein Einschreiten von Fachkräften und Familiengerichten notwendig werden kann. Das hierzu verwendete KiMiss-Instrument steht auf der Homepage als Web-App jedem kostenfrei und ohne Anmeldung zur Verfügung. Es kann aus unserer Sicht eine sinnvolle Ergänzung zur Gefährdungseinschätzung in Fällen strittiger Trennungsfälle bieten.

Weitere Tipps und Hinweise gibt aus auch auf der Seite www.hochstrittig.org , welche sich vor allem mit den Mechanismen und Interventionsmöglichkeiten auseinander setzt.

 

Anmerkung
 

 

Im oben genannten Text wird, in Bezug auf den Film, die Mutter als entfremdender Elternteil benannt. Wir wenden uns jedoch, unabhängig vom Geschlecht, gegen jede Form elterlichen Fehlverhaltens zu Lasten der Kinder.


Zuletzt geändert am 07.02.2020 um 16:39

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