Gemeinsame Elternschaft (Coparenting) als Frauenrechtsthema



DAS VERSTECKTE PROBLEM DER MÜTTERLICHEN ENTFREMDUNG VON IHREN KINDERN

Gemeinsame Elternschaft (Coparenting) als Frauenrechtsthema

 
 
- veröffentlicht am 24. Februar 2018 in Psychology Today -

Autor: Edward Kruk, Ph.D.

https://www.psychologytoday.com/us/blog/co-parenting-after-divorce/201802/coparenting-women-s-rights-issue

Deutsche Übersetzung: Angela Hoffmeyer

Mein diesjähriges Sabbatical hat mir die Möglichkeit geboten, internationalen Einladungen zu Vorträgen über die Themen gemeinsame Elternverantwortung auch nach Trennung/Scheidung (Doppelresidenz) und Eltern-Kind-Entfremdung zu folgen. Was mich im Rahmen meiner jüngsten Präsentationen in Ländern wie Island, der Türkei, Belgien, Spanien, Korea und dem Iran beeindruckt hat, ist der Grad, in dem sich Frauen und Frauenorganisationen für eine Reform des Familienrechts in Richtung der Doppelresidenz als rechtliche Vermutung (Leitbild) einsetzen. Von Island, wo gemeinsame Elternschaft (Coparenting) zunehmend als wesentliches Element der Gleichstellung der Geschlechter anerkannt wird (Island ist das erste Land, das die Lohngleichheit für Frauen gesetzlich verankert hat), über die Türkei, wo ich einen leidenschaftlichen Vortrag einer Wissenschaftlerin aus dem Bereich Frauenforschung über die Vorteile der Doppelresidenz für Mütter hörte (in einem Land, in dem traditionelle Rollen und Verantwortlichkeiten von Müttern Hindernisse für die Förderung von Frauen im öffentlichen Leben sind), bis hin zum Iran, wo Väter üblicherweise das Sorgerecht für ihre Kinder erhalten und Mütter Gefahr laufen, in ihrer Rolle durch neue Partnerinnen der Väter ersetzt zu werden, wird die Doppelresidenz als Grundlage des Familienrechts von Frauen- und Kindervertretungen eingefordert.

Dies steht im krassen Widerspruch zur Darstellung von Doppelresidenz und Eltern-Kind-Entfremdung als "Männerrechtsthemen" in Nordamerika. Gegner einer rechtlichen Vermutung (Leitbild) der Doppelresidenz in den Vereinigten Staaten und Kanada gehen so weit, die Initiative als "Verschwörung der Väterrechtler" zu bezeichnen. Diese Position übersieht nicht nur die Tatsache, dass in vielen Teilen der Welt noch immer eine Präferenz der Väter bei der Festlegung des Sorgerechts besteht, sondern ignoriert auch die steigenden Raten von Entscheidungen über das väterliche Sorgerecht und die mütterliche Entfremdung von ihren Kindern in Nordamerika. Die Charakterisierung von Eltern-Kind-Entfremdung und Doppelresidenz als "Väterrechtsthemen" hat die Not vieler Mütter unsichtbar gemacht und die globalen Bestrebungen zur Etablierung der Doppelresidenz als Grundlage des Familienrechts als ein Grundrecht von Frauen und Kindern negativ beeinflusst.

Das Aufkommen der Doppelresidenz als Frauenrechtsthema ist keine große Überraschung, da in vielen Ländern nach wie vor eine Präferenz der Väter bei Sorgerechtsentscheidungen dominiert und viele Mütter von ihren Kindern entfremdet werden, sowie die Tatsache, dass in einigen Ländern Kinder immer noch als "Eigentum" der Väter betrachtet werden. In Nordamerika sehen wir steigende Raten von Einzelresidenzanordnungen zugunsten von Vätern in Staaten, in denen zuvor eine Präferenz der Mütter bestand. Es hat sich inzwischen herausgestellt, dass Frauen sowohl in Nordamerika als auch im Ausland genauso stark von Eltern-Kind-Entfremdung bedroht sind wie Väter (Warshak, 2015).

Die gemeinsame Elternverantwortung ist seit langem als wesentliches Element der Geschlechtergleichstellung in Zwei-Eltern-Familien verankert und entwickelt sich nun zu einer ebenso wichtigen Aufgabe für getrennte und geschiedene Familien. Es ist weder wünschenswert noch praktikabel, dass Mütter in einer "Doppelschicht" als Vollzeitbeschäftigte und Elternteil arbeiten; die väterliche Übernahme der Verantwortung für die Mitbetreuung von Kindern insbesondere in Doppelverdienerhaushalten ist ein wichtiges Anliegen von Frauen.

Im Rahmen der Elternverantwortung nach der Scheidung ist die Doppelresidenz allerdings für das Wohlbefinden von Müttern sowie von Vätern und Kindern von entscheidender Bedeutung. Meine eigene Forschung über die gelebten Erfahrungen von Müttern, die von ihren Kindern in Kanada entfremdet wurden (Kruk, 2010; Kruk, 2015), ergab, dass Mütter nicht freiwillig ihre traditionelle mütterliche Rolle aufgeben, wie einige angenommen haben, sondern gewaltsam aus dem Leben ihrer Kinder in Nordamerika ausgeschlossen werden. Wenn Vorwürfe erhoben werden, dass die Gerichtssysteme in den USA und Kanada voreingenommen zugunsten von Müttern sind, besteht die Reaktion in einer Erhöhung der Zahl der Einzelresidenzentscheidungen zugunsten der Väter (im Gegensatz zur Doppelresidenz). Dadurch sind die Beziehungen der Mütter zu ihren Kindern ernsthaft gefährdet.

Die Lebenserfahrungen der von mir befragten Mütter konzentrierten sich auf folgende Themen: Bindung und Verlust im Zusammenhang mit unfreiwilliger Abwesenheit der Kinder; Rechtsmissbrauch innerhalb des gegnerischen Systems und Urteile basierend auf einer Nichtkonformität mit einem Mutterschaftsideal; körperliche Gewalt und emotionaler Missbrauch im Familiensystem; Umgangsverweigerung und Eltern-Kind-Entfremdung; Stigmatisierung und Mangel an Hilfsdiensten; sowie schwere finanzielle Verluste. Ich habe auch die Wahrnehmungen der Mütter hinsichtlich der Bedürfnisse ihrer Kinder im Scheidungsprozess, die Verantwortung der Mütter für diese Bedürfnisse und die Verantwortung der sozialen Institutionen für die Unterstützung der Mütter als Elternteile untersucht. In diesem Zusammenhang habe ich die Einstellungen der Mütter zu notwendigen Änderungen des rechtlichen Rahmens für Sorgerechtsentscheidungen und andere Prioritäten untersucht. Vor allem stellten die Mütter fest, dass eine widerlegbare Vermutung (Leitbild) der Doppelresidenz erforderlich ist, um die für sie und ihre Kinder besten Ergebnisse nach der Scheidung zu erzielen.

Die Überwindung der Hindernisse für ein erneutes Engagement von Müttern, die von ihren Kindern entfremdet wurden, ist ein wichtiges Anliegen im Rahmen der sozialen Gerechtigkeit. Der Schlüssel dazu liegt in der Abkehr von einer kontraproduktiven Haltung hin zur Unterstützung beider Eltern bei der Erfüllung ihrer elterlichen Pflichten nach der Scheidung. Das Fehlen einer solchen Unterstützung für Mütter, die von ihren Kindern getrennt leben (Einzelresidenz beim Vater), durch Vertreter sozialer Einrichtungen wurde in der Sozialpolitik und der klinischen Praxis zu lange vernachlässigt. Die Doppelresidenz ist eine präventive rechtliche Maßnahme, um sicherzustellen, dass Mütter weiterhin in das Leben ihrer Kinder eingebunden werden. Dies macht sie zu einer Frauenrechtsfrage ebenso wie zu einer Männerrechtsfrage.


Zuletzt geändert am 08.05.2020 um 10:04

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