Die Suche nach dem Haar in der Suppe - so oder ähnlich muten teilweise Entscheidungen von Familiengerichten an, wenn es rund um die Doppelresidenz geht. Nur ist das der Sinn und Zweck von Rechtsprechung? Was bedeuten die Entscheidungen für die Kinder und für die Eltern? Verschlimmern einige Entscheidungen die Situation sogar? Wir erläutern dies anhand einiger Beschlüsse, welche wir in unserer Entscheidungs-Datenbank ausführlich kommentiert haben.
Wir konzentrieren uns hierbei vor allem auf Gerichtsbeschlüsse nach der BGH-Entscheidung im Februar 2017. Davor haben fast alle Familiengerichte an falsche Annahmen festgehalten. Nicht gegen den Willen eines Elternteils (obwohl jede gerichtliche Entscheidung gerade deshalb gefällt werden muss, weil mindestens einer damit nicht einverstanden ist) oder "gerichtlich nicht anordenbar" waren nur zwei der Vorurteile, die sich nahezu durch die gesamte Rechtsprechung zogen. War dies eine deutliche Mahnung an die Gerichte, sich zukünftig von überholten Ideologien abzuwenden und mehr am tatsächlichen Sachverhalt zu orientieren?
Schaut man sich die Entscheidung des Kammergerichts Berlin (18 UF 15/17) an, kommen dabei Zweifel auf. Das Verfahren dauerte viel zu lange, der Beschleunigungsgrundsatz in Kindschaftssachen scheint in den Gerichten noch immer nicht angekommen zu sein. Das Gericht ordnete eine Betreuungsregelung von 8 Tagen Mutter / 6 Tagen Vater an. Eine 7 / 7-Tage-Regelung würde dem Kindeswohl widersprechen, es müsse für das Kind, welches sich ausdrücklich mehr Zeit mit seinem Vater gewünscht hatte und eigentlich sogar ganz bei diesem leben wollte, die Kontinuität gewahrt und ein "Aufenthaltsschwerpunkt behalten werden. Auch müsse das Kind bei einer 7 / 7-Tageregelung ja den weiteren Weg zur Schule bewältigen, was eine zu große Belastung für das Kind wäre.
Nun muss man dazu wissen, dass die Eltern in Berlin im selben Stadtbezirk leben und es zwar Unterschiede in der Entfernung zur Schule gibt, diese aber außerordentlich gering ausfallen. Außerdem, das zeigt schon der gesunde Menschenverstand, muss das Kind den Weg zur Schule auch bei der 8 / 6-Tage-Regelung, welche angeordnet wurde, zur Schule gehen.
Das Kammergericht zeigt hier, dass es um jeden Preis an einem (rechtlichen) Alleinerziehenden-Residenzmodell festhalten wollte, mit all den damit zusammenhängenden Konsequenzen. Der Wunsch des Kindes musste hier den Vorbehalten der Richter weichen. Dem Verhältnis der Eltern zueinander dürfte dies nicht geholfen haben.
Das OLG Frankfurt geht in seiner Entscheidung 1 UF 283/16 noch weiter. Der Verfahrensbeistand sprach sich dafür aus, den Vater stärker in die Betreuung des Kindes einzubeziehen, das Kind könne hiervon profitieren. Die Mutter trage wesentlich zur Eskalation und den Problemen bei, nachdem das Amtsgericht ihr Teile der elterlichen Sorge zur alleinigen Ausübung übertragen habe. Beim Kind hätten sich seitdem bereits negative Entwicklungen gezeigt.
Davon unbeeindruckt lehnte der Senat des OLG Frankfurt die Doppelresidenz ab. Es ging unter anderem davon aus, dass bereits die Ablehnung der Doppelresidenz durch einen Elternteil ausreichend sei, um von einem unüberbrückbaren Dissens zwischen den Eltern auszugehen. Damit führte dieser Senat praktisch das Vetorecht eines Elternteils wieder ein, dem der Bundesgerichtshof eine klare Absage erteilt hat. Vielleicht auch aus diesem Grund wurde sicherheitshalber die Rechtsbeschwerde zum BGH nicht zugelassen - ein weiteres Problem, mit dem sich Gerichte der Überprüfung durch das höchste Gericht entziehen können und gegen das es, im Gegensatz zu anderen Rechtsgebieten, keine Rechtsmittel gibt.
Die Entscheidung hat aus unserer Sicht an den eigentlichen Problemen, die erkennbar nicht in der Regelung der Betreuungszeiten lagen, nichts positiv verändert, sondern im Gegenteil den Konflikt zwischen den Eltern mit großer Wahrscheinlichkeit noch verstärkt. Aus diesem Grund haben wir uns hier auch sehr klar positioniert: der Senat des Oberlandesgerichtes Frankfurt hat hier eine Anleitung zum Missbrauch gegeben.
Ob die Entscheidung hier durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Heilmann, welcher sich in seinen Veröffentlichungen sehr deutlich gegen die Doppelresidenz ausspricht, geprägt wurde, wissen wir natürlich nicht, auch wenn der Beschluss der durch ihn vertretenen Linie entspricht. Jede gerichtliche Entscheidung sollte sich am Einzelfall und an den Entwicklungschancen für die Kinder orientieren. Persönliche Vorbehalte dürfen hier nicht handlungsleitend sein.
Wie es anders gehen kann, zeigt der 4. Senat des OLG Frankfurt (4 UF 167/18) in einem Fall, der von vielen Gerichten vermutlich als "hochstrittig" bezeichnet und bei dem die Doppelresidenz von vorn herein ausgeschlossen worden wäre.
Die Mutter versuchte, auf dem Rücken der Kinder und an ihren eigenen Interessen orientiert, per "Ex- und Hop"-Strategie Fakten zu schaffen, verstieß gegen das gemeinsame Sorgerecht und wollte mit dem Kind nach Österreich zu ihrem neuen Freund ziehen. Das Amtsgericht übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater, bei dem das Kind dann auch wieder lebte. Vor dem Oberlandesgericht waren sich auf einmal beide Eltern einig, dass das Kind weiterhin seine bisherige Kita besuchen sollte und die Mutter hatte plötzlich auch ihre Umzugspläne aufgegeben.
Beide Eltern hielten auch eine Betreuungsaufteilung von 4:3 für richtig - jeweils zu ihren eigenen Gunsten. Darüber hatte das Oberlandesgericht nicht zu entscheiden, es handelte sich um ein Sorgerechtsverfahren. Es stellt aber direkt klar, dass es auch eine Betreuungsaufteilung von 4:3 als Doppelresidenz betrachte. Unterhaltsrechtlichen Motivationen für weiteren Streit nahm das Gericht somit direkt den Wind aus den Segeln. Es übertrug die elterliche Sorge wieder auf beide Elternteile.
Die Entscheidung kann durchaus als vorbildlich bezeichnet werden. Das Gericht hat mir großer Umsicht Augenhöhe zwischen den Eltern hergestellt und Streitfaktoren soweit es in seiner Macht lag beseitigt. Dazu brauchte es nicht einmal ein Sachverständigengutachten, es reichte der gesunde Menschenverstand und ein Blick auf das Kind, welches auch nach Einschätzung des Verfahrensbeistandes einen engen Kontakt zu beiden Eltern brauche.
Dass das Verfahren zudem noch sehr schnell geführt wurde, sei in Anbetracht der weiteren hier genannten Verfahren ausdrücklich positiv erwähnt, auch wenn es eigentlich nur die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben bedeutet.
Noch schneller, nämlich nicht einmal einen Monat, war nur das OLG Koblenz (13 UF 676/17), wobei in diesem Fall die Zeit kein Qualitätsmerkmal ist. Das OLG Koblenz hielt nämlich nicht einmal eine mündliche Verhandlung ab und hielt es nicht einmal für notwendig, den Beschwerdeschriftsatz an die Mutter zu übersenden. Angesichts des Umstandes, dass im Ausgangsverfahren sogar schon von Kindeswohlgefährdung gesprochen wurde, ist dieses Verhalten mehr als fraglich.
Die 11 und 14 Jahre alten Kinder hatten sich für mehr Zeit mit ihrem Vater ausgesprochen. Das OLG traute den Kindern aber nicht zu, zu überblicken, welche Konsequenzen dies hätte, da die Kinder schon bisher durch die Eltern als Informationsüberbringer genutzt und dadurch belastet würden. Eine Doppelresidenz scheide aus, da die Kinder dort durch den Streit der Eltern zu sehr belastet würden. Wer verantwortlich für die Kooperations- und Kommunikationsdefizite sei, wäre nicht erheblich - eine klare Motivation, in dem Fall für die Mutter - an ihrer Verweigerungshaltung, die aus dem Beschluss deutlich hervorgeht, nicht zu ändern.
Das OLG schloss aufgrund der Kommunikations- und Kooperationsdefizite sogar einen erweiterten Umgang aus. Die komplexe Umgangsregelung des Amtsgerichtes mit zahlreichen Wechseln bestätigte das OLG aber anstandslos.
Für die Kinder hat diese Entscheidung keinerlei Vorteile gebracht, sondern die Situation eher noch verschärft. Weniger Wechsel und längere Zeit beim Vater hätten hier Linderung schaffen können. Hätte sich der Senat des OLG Koblenz die Mühe gemacht, sich von Eltern und Kindern ein Bild zu machen, hätte er dies vielleicht sogar erkennen können. Wenn aber derart unmotiviert mit dem Schicksal von Kindern umgegangen wird, dann kann dies nur traurig stimmen.
Eine besondere Entscheidung hatte das OLG Brandenburg (9 UF 96/17) zu treffen. Es musste nur noch der übereinstimmende Wille der Eltern protokolliert werden. Was war passiert?
Die Mutter lehnte die Doppelresidenz im amtsgerichtlichen Verfahren ab, das eingeholte Gutachten empfahl, dass die Kinder beim Vater leben sollten. Die Eltern probierten mit Unterstützung einer Erziehungsberatungsstelle die Doppelresidenz aus. Deren vom Vater beantragte gerichtliche Anordnung verweigerte das Amtsgericht jedoch - aufgrund des Streits der Eltern käme die Doppelresidenz nicht in Frage, das Aufenthaltsbestimmungsrecht wurde auf den Vater übertragen.
Als es zur Anhörung vor das Oberlandesgericht ging, stellten dort auf einmal alle Beteiligten fest, dass sich die Situation deutlich entspannt hat, die Eltern die Doppelresidenz gut leben können und es dem Kind damit gut geht. Das Gericht musste folglich nur noch die gemeinsame Sorge wiederherstellen.
Dies ist ein gutes Beispiel, wie der Streit der Eltern - auch trotz schwieriger gerichtlicher Entscheidungen - entschärft werden kann. Für die Mutter gab es keine Motivation mehr, die Situation zu eskalieren. Sie hätte angesichts der Vorzeichen nur verloren. Der Vater hat die Situation nicht zu seinen Gunsten ausgenutzt und weiter an seiner Einstellung zur gemeinsamen Elternschaft festgehalten. So mussten die Eltern nicht mehr taktieren, sondern konnten sich auf ihr Kind und ihre gemeinsame Elternschaft konzentrieren, auch wenn das Amtsgericht sich dies überhaupt nicht hätte vorstellen können.
Gerichte haben eine große Verantwortung dafür, wie sich Elternschaft entwickelt und welche Entwicklung die Kinder nehmen. Denn wenn der Aktendeckel für das Gericht geschlossen ist, müssen Eltern und Kinder mit der Entscheidung leben. Richter sollten sich daher überlegen, ob sie sich eher an rechtlichen Vorurteilen orientieren oder an den Möglichkeiten, die die Eltern ihren Kindern geben können. Eine solche ressourcenorientierte Sichtweise ist deutlich zielführender.
Gefragt ist aber vor allem der Gesetzgeber, möglichst schnell für eine angemessene Qualifizierung von Familienrichtern zu sorgen und vor allem einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der Streit verhindert anstatt ihn zu begünstigen, wie es das noch geltende Familienrecht aus dem letzten Jahrhundert tut. Es ist an der Zeit für ein zeitgemäßes Familienrecht, in dem Eltern und Kinder nicht nur der persönlichen Einstellung von Richtern unterworfen sind.
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