Mit der Frage der Doppelresidenz (Wechselmodell) wird zunehmend auch die Frage eines Leitbildes im Familienrecht diskutiert. Leider geschieht dies oftmals recht undifferenziert und anhand von (unbegründeten) Vorurteilen.
Ziemlich unbeachtet bleibt dabei aber die eigentlich entscheidende Frage: was kann und soll der Gesetzgeber eigentlich regeln? Wann kann und wann muss er in elterliche Grundrechte eingreifen? Diese Frage soll dieser Beitrag genauer betrachten, auch im Hinblick auf die Unterschiede zwischen zusammenlebenden und getrennten Eltern.
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. (Art. 6 (2) GG)
Diese einfache wie ausgewogene Formulierung legt die Verantwortung für Pflege und Erziehung in die Hände beider Eltern. Der Absatz 3 regelt darüber hinaus:
Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. (Art. 6 (3) GG)
Hier ist eine klare Eingriffsschwelle definiert, ab wann die staatliche Gemeinschaft eingreifen kann und sogar muss – zum Schutz des Kindes. Hier reichen nicht einfache Abweichungen von einer Norm oder – es gibt schließlich keine Idealeltern (vergl. auch OLG Hamm 2 UF 227/12, kein Anspruch der Kinder auf „Idealeltern“, staatliche Eingriffe haben sich auf die Abwehr von Gefahren zu beschränken). Dieser Grundsatz ist bei zusammenlebenden Eltern auch nicht strittig.
Gerade im Zusammenhang mit der Diskussion um Kindergrundrechte ins Grundgesetz wurde noch einmal sehr deutlich hervorgehoben, dass die Elternrechte im Zuge einer möglichen Grundgesetzänderung nicht gegen die Kinderrechte zugunsten eines staatlichen Eingriffs ausgespielt werden dürfen. Die staatlichen Organe haben im Rahmen des ihnen obliegenden Schutzauftrages erst einzugreifen, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist. Dies findet sich auch zutreffend im §1666 BGB wieder. Im Zusammenhang mit der Frage von Inobhutnahmen von Kindern durch Jugendämter wird der hohe Eingriffsmaßstab immer wieder konkretisiert, vor allem, wenn dieser in der Praxis nicht zutreffend angewandt wurde. Die Vorrangigkeit öffentlicher Hilfen vor staatlichen Eingriffen in die Grundrechte der Eltern (§1666a (1) Satz 1 BGB) wird hier betont.
Die Frage mag im ersten Moment verwundern. Anhand eines einfachen Beispiels soll diese aber verdeutlicht werden.
Ein Kind lebt in sozial schwierigen Verhältnissen, die schulischen Leistungen sind mittelmäßig, die zusammenlebenden Eltern in ihrem Engagement für das Kind von einem gesellschaftlichen Idealbild entfernt – egal ob dies aufgrund von mangelnden eigene Fähigkeiten oder aber Interessen liegt.
Diesen Eltern könnten Angebote zur Förderung des Kindes unterbreitet werden – auf freiwilliger Basis. Niemand würde aber in einer solchen Situation auf die Idee kommen, das Kind in Obhut zu nehmen, nur, weil der Staat der Meinung wäre, das Kind besser selbst oder durch eine Pflegefamilie fördern zu können. Der Staat hat hier kein Recht, die „Lufthoheit über die Kinderbetten“ einzufordern, wie es einige Parteien Anfangs der 2000er-Jahre offen forderten und dafür zu Recht heftig kritisiert wurden. Dem steht das Erziehungsprimat der Eltern aus Art. 6 (2) GG entgegen.
Trennen sich diese Eltern, sieht die Situation praktisch anders aus. Der vermutlich verfassungswidrige §1671 (1) 2. BGB sieht vor, dass die elterliche Sorge auf einen Elternteil zu übertragen ist, wenn „zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.“
Hier braucht es, bei denselben Eltern, plötzlich keine Gefährdung des Wohles des Kindes, nicht einmal eine Einschränkung seiner Lebensqualität. Selbst die Ansicht minimaler Unterschiede wäre ausreichend, einem Elternteil, ohne dass dieser versagt hätte oder die Kinder in dessen Obhut verwahrlosen würden, seines Elterngrundrechtes (und auch seiner Pflicht) enthoben wird. Dies muss als staatliche Übergriffigkeit ohne verfassungsrechtliche Grundlage gewertet werden. Gleiches dürfte für den §1697a BGB – dem Kindeswohlprinzip – gelten.
In der Diskussion um die Doppelresidenz wird immer wieder argumentiert, dass die Qualität wichtiger sei als die Quantität.
Auch der Psychologe Stefan Rücker betonte jüngst (Talkrunde zum FIlm "Weil Du mir gehörst"), dass die Modellfrage zwischen Residenz- und Doppelresidenzmodell weniger Aussagekraft hätte, als viele sich erhoffen würden. Kinder würden sich aufgrund der bisherigen Erkenntnisse dort besser entwickeln, wo sie nach einer Trennung Zugang zu beiden Eltern haben, positive Elterneigenschaften wie geringes Konfliktniveau vorliegen sowie eine geringe geografische Distanz und eine gesicherte materielle Versorgung besteht. Auch die Zugewandtheit der Eltern stelle einen erheblichen Faktor dar.
Wenn man diese Punkte als Gegeben annehmen würde, dann stellen diese allerdings einen Idealzustand dar, die „Idealeltern“, die allen Kindern zu wünschen wären, in der Realität aber eher selten anzutreffen sind.
Und hier stellt sich erneut die Frage der staatlichen Eingriffshürde: weshalb sollte diese bei getrennten Eltern weitaus niedriger liegen als bei zusammenlebenden Eltern? Warum sollten Kinder auf die emotionalen, sozialen und wirtschaftlichen Ressourcen eines Elternteils verzichten müssen, nur, weil die Eltern nicht mehr in einem Haushalt leben?
Gerade in Fällen, in denen Eltern nicht dem Bild der Idealeltern entsprechen ist es für die Kinder wichtig, dass die Defizite eines Elternteils durch die Ressourcen und Fähigkeiten des anderen Elternteils ausgeglichen werden können. Dies wäre die bestmögliche Förderung der Kinder durch ihre Eltern., denen diese Pflicht weiterhin gemeinsam obliegt, auch wenn sie sich als Paar getrennt haben.
Eingriffe in das Elternrecht dürfen nur erfolgen, wenn durch die Ausübung des Elterngrundrechtes das Wohlergehen des Kindes gefährdet werden würde, wenn staatliche Eingriffe auch bei zusammenlebenden Eltern erfolgen würden – gemessen am Maßstab des §1666 BGB.
Unabhängig davon, sollten Eltern natürlich dabei unterstützt werden, nach einer für alle Beteiligten häufig belastenden Trennung den Weg hin zu gemeinsamer Elternschaft zu finden. Gerade wenn erkennbar ist, dass Streit zwischen den Eltern die beteiligten Kinder zu sehr belastet oder sogar der Verlust eines Elternteils droht, sollten auch verpflichtende Beratungen der Eltern angeordnet werden können, um eine absehbare Gefahr von den Kindern abzuwenden. Hier hätten die Eltern die Möglichkeit zu zeigen, dass sie bereit und in der Lage sind, ihre Elternverantwortung zum Wohle ihrer Kinder auch auszuüben. Dies wäre eine vorrangige Maßnahme, die aufgrund der Regelung des §1666a (1) Satz 1) BGB bereits heute angeordnet werden könnte.
Letztendlich bedeutet dies familienrechtlich, dass das Leitbild der Doppelresidenz, also der gemeinsamen, vor staatlichen Eingriffen geschützten Elternschaft, wie auch schon bei zusammenlebenden Eltern, bereits heute Geltung haben müsste.
Die bisherige Praxis, bei erziehungsfähigen und erziehungsbereiten Eltern bereits aufgrund marginaler Unterschiede in elterliche Grundrechte eines Elternteils massiv einzugreifen, geht weit über den staatlichen Schutzauftrag hinaus. Vor allem nimmt dies den Kindern ohne Notwendigkeit Entwicklungsressourcen.
Unterhalb der Schwelle der Kindeswohlgefährdung sollte künftig der Grundsatz gelten: wie können den Kindern die Ressourcen beider Eltern bestmöglich zugängig machen? Die Doppelresidenz wäre, abseits von Vorurteilen und Ideologien, in vielen Fällen die einfachste und logische Antwort.
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